projekt: Landschaftsbauhütte / Der Spielbus
Der Spielbus
Interview mit Katrin Praest, Leiterin des Spielbusses in Brockhausen
finger-Landschaftsbauhütte-Ruhr
Der vorliegende Text ist ein Auszug aus einem Interview mit Katrin
Praest, der Leiterin eines Spielbusses in Brockhausen, einem Vorort
von Hagen in Nordrhein Westfalen. Das Interview wurde im August 2000
geführt und ist Teil eines von finger angefertigten Landschaftsgutachtens
zur Region um den Kaisberg bei Hagen. und als solches Bestandteil
der Landschaftsbauhütte Ruhrtal. Die Landschaftsbauhütte setzt sich
aus Wissenschaftlern, Journalisten, Kunst historikern, Museumsleuten
und Künstlern zusammen, deren jeweilige Gutachten in dem Umgestaltungsprozess
der Region Mittleres Ruhrtal Verwendung finden. Die Arbeiten der Landschaftsbauhütte
werden im Mai 2001 im Karl Ernst Osthaus Museum in Hagen präsentiert.
Wie kam es zu dem Spielbus?
K.P.: Der Bus ist entstanden aus der Geschichte, dass Vorhalle ein
Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf ist. Seit drei Jahren steht
der Bus jetzt dort und wird im Schnitt von 25 Kindern pro Tag besucht.
Mal sind es auch 30, mal eben weniger ... Mittlerweile ist der Bus
auch zur Anlaufstelle für Eltern geworden. Es gibt also auch ein Mutter-Kind-Caf...,
in dem sich mittlerweile auch türkische Frauen treffen und austauschen.
Da sind wir inzwischen auch als Mitarbeiter gefragt, wenn irgendwelche
Problematiken auftreten. Das Mutter-Kind-Caf... ist mittlerweile eine
hochspannende Sache - denn dafür wurde der Bus eigentlich gar nicht
eingerichtet. Die Kinder tippen mit dem Kopf von einem Tisch vor den
nächsten, aber wir haben die Perspektive das wir demnächst eine Wohnung
kriegen
So dass ihr dann beides nutzen könnt: Bus und Wohnung?
K.P.: Wobei die Wohnung dann nur für Kleinkinder ist, bzw. für Sprachkurse
für Mütter, also eben nicht für die tägliche Arbeit mit den Kindern.
Wir werden uns natürlich die Freiheit herausnehmen mit einer Kleingruppe
hin zu gehen und etwas Ruhiges zu machen. Bei allem anderen würden
wir wohl viel Stress mit den Bewohnern kriegen. Wobei die Bewohner
uns am Anfang überhaupt nicht wohl gesonnen waren. Na ja gut, es gibt
Leute, die ihn nicht unbedingt lieben, weil da ja ein Kinder-Auflauf
vor der 23 ist. Die haben sich sonst immer gut verteilt und jetzt
sind sie alle da. Die älteren Leute sind zum Teil schon sehr genervt.
Wohnen viele ältere Leute da?
K.P.: Nein, da sind vielleicht 6-7 Wohneinheiten, in denen Leute
ohne Kinder leben. Alles andere sind dann Grosseltern der Kinder.
Aber das Verrückte an Brockhausen ist eben: Da wohnen ganze Familieneinheiten.
Die kommen ursprünglich alle aus einem Dorf und sind irgendwie alle
in Brockhausen gelandet. Wilde Verquickungen von Familien. Unsere
türkische Mitarbeiterin im Bus, sowohl im Mutter-Kind-Caf... als auch
im Nachmittagsbereich, die ist mit der Hälfte der Kinder verwandt.
"Also das ist das Kind von meiner Cousine ..."
Wenn man diese Strukturen durchblickt, kann man da ganz toll arbeiten.
Nur die ersten 2 Jahre habe ich sie nicht durchblickt und gedacht,
das kann doch gar nicht sein, irgendwas stimmt doch hier nicht (lacht).
Da hängt auch erstmal ganz viel aufeinander. Da ist zunächst mal die
türkische Bewohnerschaft, die zum größten Teil aus einer Region kommt.
Zusätzlich sind da ganz viele Menschen aus Russland und Polen, die
als Spätaussiedler gekommen sind. Diese beiden Gruppen treffen gerade
auch im Haus 23 ganz massiv aufeinander, mit ganz viel Stress, mit
ganz viel Sprengstoff drin. Daneben gibt es eben versprengt noch ein
paar deutsche und wenige marokanische Familien.
Welche Form nehmen die Konflikte an?
K.P.: Erstmal die normalen Konflikte, die sich in einem Hochhaus
natürlich sehr schnell hochschaukeln: der putzt nicht den Flur und
der stellt seinen Müll überall hin ... Was dann natürlich auf die
Kinder übertragen wird. Als wir da angefangen haben, war es manchmal
noch so: wenn die türkischen Kinder da waren, kamen keine russischen
Kinder. Aber das hat sich mittlerweile beruhigt. Die sind zwar nach
wie vor nicht die besten Freunde, aber sie kriegen es hin. Im weiteren,
wenn sie in den Teenie bis Jugendbereich kommen, gibt es zum Teil
wohl heftige Pöbeleien und wird wohl auch mal handgreiflich. Wobei,
ich selbst hab das noch nicht erlebt.
Ist das denn richtig gefährlich?
K.P.: Nein, nein. Was zwar schon ist, dass unsere türkischen Jungs
massiv sind. Das merken gerade unsere russischen Mitarbeiter, die
ein anderes Kinderbild haben. Da merkst du dann auch ganz klar den
unterschiedlichen Erziehungsstil. Wenn ich mir die russischen und
polnischen Kinder anschaue, die ihren Hintergrund haben und du dann
den türkischen Hintergrund nimmst - also die reagieren einfach komplett
anders. Aber ich finde sie völlig Klasse und die sind unheimlich kooperativ.
Ich empfinde die überhaupt nicht als brutal oder so was. Obwohl das
Gerücht existiert, dass die "Grauen Wölfe" ganz massiv in Brockhausen
vertreten sein sollen. Aber mir sind die noch nirgendwo begegnet.
Gibt es Kontakte zu den Campern in der Nähe und den Kindern dort?
K.P.: Nein, das ist zu weit weg. Dafür wurde im Rahmen unseres "Draußentages"
das so gemacht, dass wir uns unseren Stadtteil ganz genau angesehen
haben. Wir sind also durch den Stadtteil gelaufen und haben einen
Stadtplan mit Klebepunkten versehen: wer wohnt wo, wo kann man toll
spielen, wo geht's zur Schule, wo kann ich gut einkaufen, und solche
Sachen. Im Anschluss daran haben wir diese Wand bemalt (Hinter dem
Spielbus eine Art Plakatwand, die mit einem Gemälde des Viertels versehen
wurde.). Das fanden die Kinder auch sehr spannend und wir hatten eigentlich
dann auch vorgehabt, da auch nochmal so ein Projekt anzuschließen.
90% der Kinder haben hier einen Migrationshintergrund. Beim Spazierengehen
fingen die Kinder an zu erzählen: In welcher Generation sind denn
deine Eltern bzw. deine Großeltern oder wer auch immer nach Deutschland
gekommen und wo kamen die denn überhaupt her, wo haben die früher
gelebt, wo leben die heute? Wir hatten den Stadtplan kopiert und dann
bearbeitet. Ich glaube, den müsste es noch irgendwo geben. Wobei,
es hat sich auch gezeigt, dass sich die Kinder vor allem auch in Herdecke
total wohl fühlen, da in dieser Freizeitanlage. Dann gehen sie eben
noch gerne auf den Kaisberg. Da haben sie sowohl den Turm als auch
den Ort, wo sie ihre Hütten drauf haben.
Wobei, die dürfen gar nicht allein auf den Kaisberg. Da ist ganz
klar die Grenze von den Eltern gesetzt: "Ihr dürft nicht alleine in
den Wald !". Die dürfen also gerade mal bis zum Bauernhof. In den
Wald dürfen sie auch wirklich nur, wenn wir mitgehen. Dann ist das
in Ordnung, aber alles andere wird von den Eltern ganz klar untersagt.
Warum ist das so strikt?
K.P.: Weil die Eltern große Angst um ihre Kinder haben. Es könnte
ja der "böse Mann" kommen. Gerade bei den türkischen Familien wird
immens geklammert. Die Eltern der Kinder, die regelmässig zu uns kommen,
sind schon sehr darauf bedacht zu wissen wo die Kinder sind und halten
sie ganz ganz eng und sagen klar bis wohin sie wie lange dürfen. Und
dann gibt es ein paar Familien wo die Kinder relativ viel streunern.
Die findest du dann auch am Kaisberg, aber es ist doch relativ selten.
Aber normalerweise weiß immer Mama, oder spätestens Oma, wo die Kinder
sind. Da ist dann auch ganz klar die Angst: "Ich weiss ja sonst nicht
was du machst".
Was sind denn Ihrer Meinung nach die Unterschiede im Erziehungsstil
zwischen den türkischen und den russisch-polnischen Kindern?
K.P.: Dass die russisch-polnischen Kinder ganz stark auf Kritik hören.
Sobald jemand erwachsen wirkt, hat er eine Menge Autorität für sie
und was der sagt, das gilt.
Ich kann es am besten daran festmachen, dass im letzten Jahr zehn
Kinder mit russischem Migrationshintergrund mit in einer Freizeit
waren und die haben eine Woche gebraucht, bis sie uns geduzt haben.
Mit der Begründung: "Wir wissen ja nicht, ob sie wirklich mein Freund
sind." Erst nach einer Woche kamen sie und sagten:"Jetzt weiss ich,
du bist mein Freund." Da ist also wirklich ganz viel Distanz und wenn
ein Erwachsener sagt "Stop", dann ist da auch Stop. Dann versuchen
sie natürlich nochmal hintenrum eine Lücke zu finden, aber sie würden
nie vor dir stehen und sagen: "Nein, das mach ich aber nicht !".
Während bei den türkischen Kindern, aufgrund der Tatsache, dass sie
in großen Familienzusammenhängen leben, es anders ist: sagt Mama "Nein
!", dann kommt entweder Oma und sagt: "Ach mein Gott, ..." , oder
die Tante ist noch da und abends kommt Papa nach Hause ... und so
haben wir ganz viele türkische Kinder, die auf eine Art grenzenlos
sind, die also so eine Autoritätsgrenze überhaupt nicht akzeptieren.
Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass Grenzen gerade in diesen
großen Familienzusammenhängen immer wieder aufgehoben werden. Da gibt
es keine wirkliche Verbindlichkeit.
Wie würden Sie das beschreiben, wie die Kinder in Brockhausen aufwachsen?
K.P.: Das ist ein Traum! Eigentlich ist das eine ganz ganz tolle
Kindheit da. Die Kinder purzeln aus dem Haus und haben Freunde. Das
ist bei allen Kindern dort so. Auch die deutschen Kinder, die da leben,
halten recht eng zusammen. Bei den Kindern, die irgendwann aus Russland
und Polen gekommen sind, die haben da alle nochmal Kinder, die ähnliches
erlebt haben und bei den türkischen Kindern ist das eben auch so.
Es ist nun mal eine Siedlung mit ganz viel grün. Was ihnen gefehlt
hat war eben so eine Möglichkeit wie der Bus, wo sie sich mal hinsetzen
können und spielen oder basteln oder so etwas. Was wir auch daran
gemerkt haben, dass wir eigentlich ein Jahr lang keine großen Angebote
machen mussten. Es reichte für die Kinder, um drei Uhr in den Bus
zu kommen, da zu sitzen, zu spielen, zu klönen. Wenn du ihnen mal
Stifte und Papier und Kleber auf den Tisch gelegt hast, waren sie
glücklich, hätten das aber nie eingefordert. Hauptsache es war jemand
für sie da. Ich glaube, jetzt im Moment ist es eine wunderschöne Kindheit,
die sie da haben.
Was ich auch ganz toll finde: gerade die türkischen Bewohner, die
nehmen sich die Freiheit heraus und holen sich bei uns im Bus die
Tische und Bänke und dann grillen sie draußen. Voher haben sie Decken
hingelegt, mittlerweile haben sie aber den Luxus, dass sie unsere
Tische und Bänke nehmen können. Da feiern die bis tief in die Nacht
hinein. Oder die Mütter stellen sich morgens zum Frühstück die Bänke
dahin und die Kinder sitzen dabei und leben einfach eine Gemeinschaft.
Wenn ich mir da unsere Wohngegend anschaue, das erleben unsere Kinder
hier so nicht. Natürlich sind die Häuser hier eine Katastrophe und
natürlich ist das auch für die Kinder eine Katastrophe. Gerade für
die kleinen Kinder. Wir haben bei uns welche die wohnen im 10ten Stock.
Wenn mal eine aufs Klo muss, die kommt nicht an den Knopf im Aufzug
und wenn ihre Schwester nicht da ist, hat sie leider verloren - da
muss sie dann entweder in die Hose machen oder in die Büsche gehen
oder bei der Tante schellen - aber das macht sie dann auch nicht.
Es passieren dann auch andere Sachen und es ist natürlich auch beängstigend,
wenn man im Aufzug stecken bleibt und auch der ganze Stress, der da
unter den Nachbarn abläuft, ist mitunter schon ganz schön heftig.
Sie wissen ganz genau bei wem sie vorsichtig sein müssen und bei wem
sie sich trauen dürfen, auch mal einen Ball zu schmeissen.
Habt ihr auch überlegt, mit der Wohnung, die ihr in Aussicht habt,
da einen Kindergarten aufzumachen?
K.P.: Nein. Das mit dem Mutter-Kind-Bereich ist ganz wichtig, für
die Kinder die noch nicht im Kindergarten sind, um denen eine Chance
zu geben frühzeitig mit einer deutschsprachigen Umgebung in Kontakt
zu kommen. Wir achten da sehr genau drauf, dass wenn die Mütter mit
ihren Kindern in den Spielbus kommen, dass dann Haupt-Geschäftssprache
Deutsch ist. Das ist mit den Müttern auch so abgesprochen, um für
sie einen Anreiz zu schaffen, da viele nur gebrochen Deutsch sprechen.
Dadurch haben sie auch für sich die Möglichkeit noch zu lernen. Für
die Kinder ist es total wichtig damit aus der normalen Familienkiste
raus zu kommen.
Planen die Leute in Brockhausen eigentlich, sobald sich die Möglichkeit
ergibt, woanders hin zu ziehen?
K.P.: An dem Punkt haben sie ganz große Krisen. Weil sie eigentlich
das, was ich gerade über die Kindheit hier gesagt habe, genauso empfinden
und das Gefühl haben "wir wollen aus Vorhalle oder Brockhausen überhaupt
nicht weg". Ich hab im Moment eine türkische Familie vor Augen, die
auch Eltern und Familie da wohnen haben und somit auch die Entlastung
spüren, sprich, wenn Muttern mal einkaufen muss, kann sie die Kinder
bei der Oma parken. Sie haben eben das Problem, dass sie vier Kinder
haben, sie haben ein Kinderzimmer (ca 20qm). Da stehen dann zwei Etagenbetten
drin, dann ist da noch der Schreibtisch, wo der Computer drauf steht,
und zum umdrehen musst du leider raus gehen. Sie haben dann sehr lange
nach einer neuen Wohnung gesucht und haben auch in anderen Stadtteilen
von Hagen geschaut, kamen aber immer wieder dahin: "Nein, ich will
aus Vorhalle nicht weg. "Es wird mir immer klarer, egal wo ich mir
eine Wohnung aussuche, es kann noch so eine schöne Umgebung sein,
ich will in Vorhalle bleiben".
Das Äußerste wäre, auf die andere Seite der Brücke zu ziehen.
Nur das Problem ist: bei der Ruhr-Lippe hast du mit vier Kindern nicht
unbedingt Anspruch auf die nächst größere Wohnung. Dafür brauchst
du dann schon wenigstens sechs Kinder. Ja und dann haben sie, wie
ganz viele andere, Kinder- und Elternzimmer getauscht, bzw. manche
schlafen selbst im Wohnzimmer, um dafür zwei Kinderzimmer zu haben.
Wobei, so billig sind die Wohnungen ja nicht mal. Aber selbst wenn
sie mal wo anders gelandet sind durch Arbeit oder Heirat, dann kommen
sie wieder. Auch bei den Deutschen ist das so, dass die Kinder wieder
zurückziehen. Bei den türkischen Frauen ist das so, dass sie natürlich,
wenn sie heiraten, ihre Männer nicht dazu bewegen können, mit
ihnen zu ziehen. Aber dafür trifft man auch die Frauen, die woanders
geheiratet haben, immer wieder hier. Ihre Männer arbeiten ja
und so lange die Kinder noch nicht schulpflichtig sind, sind sie immer
da.
Interview Martin Brandt