projekt: Landschaftsbauhütte / Das Gutachten
Das Gutachten
Landschaftsbauhütte Ruhr - Kaisberg Gutachten - August/Oktober 2000
- KEOM Hagen Die "finger"-Recherchen für das Kaisberg-Gutachten
Martin Brandt / Florian Haas / Martin Schmidl / Andreas Wolf
Unsere Vorgehensweise am Kaisberg
Die Gegend um den Kaisberg haben wir als Gäste betreten, die sich
innerhalb relativ kurzer Zeit ein Bild der Situation machen wollten.
In einem ersten Schritt näherten wir uns dem Gelände über Erkundungsspaziergänge
und Interviews mit Anwohnern und Nutzern. Die Interviews sind jedes
für sich subjektive Beschreibungen der Gegend geworden. Da sie aber
ausgewählte Bereiche wie den Schloßverein, die Campingplätze, die
Landwirtschaft etc. betreffen, ergänzen sie sich zu einer erzählten
Abformung der Landschaft, im Auge ihrer Bewohnerinnen und Bewohner.
Der Begriff - zeitgenössische Landschaftsmalerei - ist das Leitmotiv
für unsere Arbeit vor Ort. Daß wir für unser Landschaftsbild als Künstler
nicht Farbe und Pinsel sondern soziologische und kulturanthropologische
Methoden anwenden liegt daran, daß wir dadurch ein detailliertes,
realistisches Bild erzielen wollen. Daß wir dabei ein Kunstwerk erstellen,
läßt sich, auf den ersten Blick, gegenwärtig nur aus der besonderen
"Konstruktion" der Landschaftsbauhütte Ruhr und unserer Herkunft aus
dem Kunstkontext erschließen. Dabei spielten, über die eigentliche
Kaisberg"insel" hinaus, auch die Gegebenheiten in den Orten Wetter,
Vorhalle und Brockhausen, die Situation beiderseits des Harkortsees,
die Zubringung von der Autobahn, wie auch von Hagen, und die Lage
des Kaisbergs innerhalb des mittleren Ruhrtals, die wir durch Exkursionen
flussauf- und flussabwärts erkundeten, eine Rolle. Neben den Exkursionen,
die uns zunächst ein persönliches Bild vermittelten, verwendeten wir
historisches Quellenmaterial (Karten, Planungsbeispiele, Publikationen)
und im Internet verfügbare Informationen zur Umgebung, um uns einen
Eindruck zu verschaffen. Methodischer Schwerpunkt unserer Untersuchungen
waren Gespräche und Interviews, die wir über den gesamten Zeitraum
mit den Leuten, vom Kaisberg und aus der Umgebung, führten. Diese
sind im Anhang zu lesen. Wir befragten die Leute zu ihrer eigenen
Situation, zu ihren Lebens- und Arbeitsumständen und von da ausgehend
zu ihrem Zugang, ihren Eindrücken, Erfahrungen und Vorstellungen bezüglich
des Kaisberges. Wir haben dabei folgende Orte besucht: Herdecke, alter
Yachthafen (Wasserschutzzone), Wasserschloss (Ritterspiele), Freiherr
vom Stein Turm, Harkort-Turm, den Harkort-See, Radwege, 3-D Bilder
der Gegend, Spazierwege, ehem. militärisch genutzte Eisenbahnstrecke
hinter dem Kaisberg, heute Schrebergärten, Camping, Brockhausen, Spielbus
in Brockhausen, Taubenzüchter, Vorhalle, Klärwerk, Gastwirtschaft
Reichsadler, Gastwirtschaft Germania, Thing-Platz, Steinbruch, ehemaliges
Gasthaus "Zur deutschen Eiche", Hundeübungsplatz,die Gegend östlich
und westlich des Kaisbergs, die ehemalige Gruft des Wasserschlosses,
Schmermetallbelastetes Gelände, Bauernhof, Siedlung der Arbeiter vom
Klärwerk, Arbeitersiedlung in Brockhausen, Eisdiele Vorhalle, Jugenhaus
Vorhalle
Eine Einschätzung der vorgefundenen Situation
Der Eindruck, der Umgebung des Kaisbergs ist, daß sich hier alles
nach Innen orientiert. Die Vereine, Kleingärtner, Bauern etc. igeln
sich ein, weil sie ihre direkte Umgebung als eine nicht in ihrem Sinne
organisierte erleben. Die einen stört Brockhausen und die Situation,
die sich aus dem hohen Ausländeranteil ergibt. Die anderen ärgern
sich über den verwarlosten Zustand des Kaisbergs. Verschiedene subjektive
Stimmungsbilder, von unserer Seite, reichen von: Hier wäre ein guter
Ort für einen Tatort-Krimi oder einen David Lynch Film ... bis zu: hier
ist eigentlich eine sehr schöne Landschaft mit "Idyllpotential", deren
Qualitäten aber bei genauerem Hinsehen ständig gebrochen werden.
Auf einer Linie von Hagen-Vorhalle, über Brockhausen hinauf zum Freiherr
vom Stein Turm auf dem Kaisberg zieht sich ein "Alltagsnutzungs-Gebiet",
bis hinein in die unbebaute "Natur" ... ein verlängerter Arm der Stadt
Hagen. Brockhausen ist eine Trabanten-Vorstadt im Kleinformat, mit
scheinbar all den Problemen vergleichbarer Siedlungen. Es wohnen sehr
viele ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihren Familien hier
... die schlechter oder besser funtionierende Assimilation der jungen
Ausländer ist Thema bei Gesprächen mit deutschen Interviewpartnern
über Brockhausen und die soziale Situation in Hagen-Vorhalle. Argumente,
die wir nicht schon aus Zeitungen, Funk und Fernsehen kennen würden,
tauchen nicht auf. Die Haltung ist aber eher liberal statt aggressiv.
Die Jugendlichen aus Hagen-Vorhalle und Herdecke, scheinen den Kaisberg
und den Freiherr vom Stein Turm, als weitgehend unkontrollierten Freizeitgarten
für ihre Feste und Treffen etc. zu nutzen. Darauf schließen wir einerseits
durch den durch Graffitis und Fetenreste besetzten Zustand des Freiherr
vom Stein Turms und des Geländes, in dem zahlreiche Abfälle, wie Bierdosen
und selbstgebaute Unterstände zu finden sind, sowie aus verschiedenen
Erzählungen. Zum Beispiel die des Bauern Heribert Grewe und eines
seiner Nachbarn, die sich als direkte Anlieger für die Vorgänge am
Kaisberg stark interessieren. Zwischen dieser Nutzung der Landschaft
durch pubertierende Jugendliche und der Freizeitgestaltung ihrer Elterngeneration
per Radausflug, im Campingwagen oder Yachtklub am Harkortsee, stehen
die wenigen seit langem ansässigen Bauernfamilien, von denen nur noch
zwei landwirtschaftlich tätig sind.
Es haben sich bei unseren Exkursionen und Befragungen zwei grundlegende
Blickrichtungen ergeben. Die erste bezeichnet die Anbindung des Kaisberges
zur Ruhrseite hin (grün) und umfasst die beiden Seeufer, Wetter, den
Harkortturm und den weiteren Verlauf der Ruhr in beide Richtungen.
Die andere Annäherung erfolgt von der Autobahn her (bzw. von Hagen),
über Vorhalle und Brockhausen (gelb), mit der besonderen Situation
der Einfahrt über die Brücke, die den Rangierbahnhof überquert. Diese
Trasse beschert dem Kaisberg, zusammen mit dem Harkortsee, die eigentliche
Insellage. Dabei soll keine neue Grenzlinie eingeführt, sondern lediglich
die Eingänge und Anbindungen des Kaisberges berücksichtigt werden.
Im Überblick fielen vor allem die äusserst starke Ortsverbundenheit,
die starke lokale Identifizierung, das grosse Engagement - ideell
und materiell (siehe: Bürgerforum Vorhalle-Brockhausen, die Indstandsetzung
der Wege, Müllbeseitigung, Schlossverein, Turmverein), die grosse
Eigeninitiative beim Nutzen von Lücken auf. Weiterhin waren die unvermutete
Dorfstruktur und der starke innere Zusammenhalt in Brockhausen auffällig.
Überraschend war auch die starke Zergliederung und das relativ private
Nebeneinander, die das gesamte Gebiet betrifft und sich gerade auch
im Bereich der Camper zeigt.
Vor allem bleibt festzuhalten das weder das lokale kulturelle Potential
(Wasserschloss, Freiherr-von-Stein-Turm, Harkortturm, usw.), noch
die brachliegenden Flächen wirklich ausschöpfend genutzt sind. Zum
Teil erscheint uns dies auch durch eine schlechte Kommunikation, nicht
zuletzt in Richtung der Stadtverwaltung begründet.
Unsere Empfehlungen lassen sich in drei Schwerpunkte gliedern:
a) infrastrukturelle Verbeserung
b) kulturelle Wiederbelebung
c) strukturelle Veränderung der Landnutzung
Bei allen drei Punkten setzen wir auf eine Verbesserung der kommunikativen
Strukturen und auf Nutzung und Unterstützung von Eigeninitiativen.
a) (gelbe Zone) Verbesserung und Attraktivitätssteigerung der Zufahrt
von seiten Vorhalle nach Brockhausen, und damit des Eingangs für den
Personennahverkehr und von der Autobahn. Diese Einfahrt läd wenig
ein, sich der dahinterliegenden Landschaft zu nähern und stellt zugleich
im lokalen Zusammenhang eine klare und nur schwer überwindbare Grenze
dar. Die Brücke in ihrer jetzigen Form wird als klare Trennlinie beschrieben,
die den lokalen (kommunikativen) Austausch behindert. In den kälteren
Monaten verstärkt sich dies durch die extreme baulich bedingte Windsituation
und auch die Tatsache, dass sie innerhalb einer Tempo 30 Zone einer
Art Beschleunigungsspur gleich kommt.
Die Einrichtung von Überdachten Buden, die zu festgelegten Zeiten
als Stände für einen Wochenmarkt, als Kiosk und/oder für Bürger- bzw.
Strassenfeste genutzt werden, könnte die Situation entscheidend verbessern.
(grüne Zone) Schaffung von Zugängen zum See und damit eine Uferpromenade.
Im Gegenzug Absprachen mit und Zugeständnisse an die Camper und eventuell
eine Sichtschutz-Bepflanzung in Richtung Kaisberg. Einrichtung einer
Ausflugskneipe am See oder im Wald (ehemaliger Standort des Gasthauses
"Zur Eiche"). Verbesserung der Wegequalität und Wegeführung (unter
Einbindung des Wasserschlosses).
(grüne und gelbe Zone) Freigabe von Flächen zur Almende-ähnlichen
Nutzung (siehe unten)
b) Für eine Wiederbelebung der kulturellen Resourcen empfehlen wir
die Restaurierung des Freiherr-von Stein-Turmes. Nicht nur als Wahrzeichen
der Gegend sondern vor allem als unverzichtbarer Aussichtspunkt, von
dem aus ein einmaliges Panorama des Ruhrabschnittes und der umliegenden
Hügel geboten ist, stellt der Turm eine erhaltenswerte Attraktion
dar. Anregen möchten wir hierbei die Einrichtung einer Camera-Obscura
im Inneren des Turmes, sowie eine aktualisierte Version der ursprünglichen
Ausstattung. Der Zugang könnte über einen deponierten Schlüssel (bei
z.B. einem Ortsverein), oder über einen Nummerncode gewährleistet
werden.
Für das Schloss Werdringen möchten wir die zusätzliche Einrichtung
eines Dokumentations- und interaktiven Museumsraums (Arbeitsbegriff
"Prospektorium") anregen. Dort sollte sowohl die lokale Kulturgeschichte,
wie auch aktuelle Informationen zum Kaisberg und Umgebung,sowie weiterhin
Hinweise auf vergleichbare "Mikro-Museen" entlang des mittleren Ruhrtals
zugänglich sein und in attraktiver Form zu weiteren Exkursionen anregen.
c) Auch als Anregung für die weitere Gestaltung und Bedeutungssteigerung
des gesamten Gebietes "Mittleres Ruhrtal" versteht sich im folgenden
der Vorschlag zur Schaffung Allmende-ähnlicher Flächen und Freiräume.
Es geht um gemeinsam mit den Anwohnern genutzte und verwaltete Flächen,
die auch weiterhin öffentlich zugänglich bleiben. Von seiten der Bürgerinnen
wäre die Vorraussetzung die Schaffung einer Stiftung zur Gestaltung,
Unterhaltung und Verwaltung der ausgewiesenen Gebiete. Die Stadtverwaltung
würde dem Verein den Grund zur Verfügung stellten, finanzielle Unterstützung
und fachliche Beratung anbieten.
Ausblick
Um das vielschichtige Gebiet des Kaisbergs zu erschließen, und zwar
von seiner "Schokoladenseite" her, sollte ein zweiter Fahrradweg angelegt
werden. Dieser könnte am Ufer des Harkortsees enlang laufen und den
bestehenden Fahrradweg auf der gegenüberliegenden Wetter Seite entlasten.
Die Camper müssten dann zwar etwas von ihrem Ufer abrücken, die Stadt
Hagen würde aber im Gegenzug dafür bindende Vereinbarungen mit den
Verein über ihren Fortbestand treffen. Die zum Kaisberg offene Camperflanke
könnte mit einer Reihe Weiden bepflanzt werden - als Sichtschutz.
In 5 Jahren komme ich dann "von der Schokoladenseite her" mit meinem
Fahrrad auf dem neu gebautem Fahrradweg wieder vorbeigefahren. Ich
mache Rast bei den Campingvereinen und trinke ein Hefeweizen in einem
Biergarten, der sich auf Pontons in den See erstreckt. Unterhalten
wird der öffentliche Ausschank von den Vereinen, und weil es mir so
gut gefällt, frage ich bei den Kanuten nach, ob ich für eine Nacht
mein Zelt bei ihnen aufschlagen darf. Das ist auch kein Problem, denn
sie haben sich in den letzten Jahren immer mehr auf Besucher eingerichtet
und ich treffe auf dem Platz auf weitere Fahrradtouristen, die auf
ihrer Fahrradtour von Winterberg her hier übernachten. Prima denke
ich.
Jetzt möchte ich den neueröffneten Freiherr von Stein Turm besuchen
und zwar zu Fuß. Oben angelangt genieße ich den Blick auf Sauerland
und Ruhrtal. Im Mittelstock des Turmes ist gerade die Camera Obscura
eingeweiht worden. Die Camera bildet das gesamte Panorama des Kaisbergs
ab, das ich vor ein paar Minuten schon einmal im grellen Sonnenlicht
gesehen habe, nur hier entdecke ich ganz andere Punkte, nachdem sich
meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Zwei weitere Türme, die
von hier zu sehen sind (Harkortturm und Syburg) werden durch Laserpunkte
hervorgehoben und ich erfahre einiges über ihre Geschichte und die
Beziehung, in der sie geographisch zueinander stehen. Eine kleine
Attraktion ist geschaffen worden. Besonders freue ich mich auf meinem
Rückweg durch den Eichenwald über die neu aufgemauerten Trockensteinmauern
am Wegrand, deren kümmerliche Reste ich vor Jahren sah. Hier wurde
wieder Verantwortung für die Landschaft übernommen. Es hat sich was
getan denke ich, denn langsam beginnen auch die sanierten "Schwermetalllager"
wieder einzuwachsen. Ich begegne immer mehr Spaziergängern, die vom
Schloß Werdringen her kommen. Da ich hungrig geworden bin wandere
ich zum Wasserschloß hinunter um in der neu eröffneten Gaststätte
einen "Kaisbergteller" zu essen. Es wird schon langsam Abend und ich
will noch zu dem Eisenbahnviadukt, in dessen Pfeilern ein Raum sein
soll, der über die Möhnetal-Katastrophe informiert. Da der Heimatverein
über wenig Geld für Aufsichten verfügt, ist der Gedenkort durch eine
Türe gesichert, deren sich täglich ändernden Nummerncode ich in der
Gaststätte nachfragen kann.
Immermehr Orte mit "Mikro-Museen" sind im mittleren Ruhrtal entstanden,
die durch engagierte Vereine und Institutionen unterhalten werden.
Das Tal wird zunehmend kultiviert, Vergessenes und Verschüttetes wird
so wieder den Anwohnern und Erholungssuchenden zugänglich gemacht.
Attraktionen wurden geschaffen. In kurzer Zeit sind Kanuverleihe entstanden
"La grand tour" führt von Finntrop nach Hattingen und scheint in diesem
Sommer ein Riesenerfolg geworden zu sein, denn es ist schon seit Jahren
wieder möglich in den Flüssen Ruhr und Lenne zu baden.
Der Landschaftspark Ruhr der gerade im Entstehen ist, greift die Tradition
der Allmende auf, was nichts anderes heißt als Landschaftsflächen,
die von allen gemeinsam genutzt werden. Der Begriff stammt ursprünglich
aus dem Alpenraum und bezog sich auf die von der Gemeinde gemeinschaftlich
genutzten landwirtschaftlichen Flächen. Dies waren dann die sogenannte
Almendewiesen, die im gesamten süddeutschen Raum in den Flurnamen
fortleben.Ein typisches Beispiel dafür sind die im Südschwarzwald
bis heute gemeinschaflich verwalteten Jungviehweiden auf den Bergkuppen.
Die Städte und Gemeinden haben zugunsten dieser modernisierten Rechtsform
ihre Besitzansprüche im Ruhrtal an eine Almendestiftung abgetreten.
Das so entstandene Fleckenmuster von Gemeinbesitz beginnt zunehmend
zusammen zu wachsen, denn immer mehr Land kommt dazu, das jetzt von
engagierten Vereinen und Bürgern genutzt wird. Ein europäisches Modell
für die Restrukturierung einer Region wurde geschaffen.