about projekte newsletter links/kontakt bienen aktuell
projekt: demoskopia / Vorwort

Vorwort

Aufgrund der Situation, dass ãZukunftÒ in unserer Gegenwart in Form von Prognosen, Marktforschungs-Testgebieten und Konsumentenprofilen einen immer größer werdenden Raum einnimmt, sind wir daran interessiert, die Frage nach der idealen demoskopischen Situation aus einer nicht-kommerziellen Perspektive noch einmal zu stellen:

Wie stellen Sie sich die statistisch ideal zusammengesetzte Situation vor, um zukünftige repräsentative Prognosen zu entwickeln?

Wie positionieren sich in diesem Terrain die ãSpezialistenÒ und wie nähern sich ãLaienÒ dieser Frage und dem damit verbundenen Feld der individuellen und kollektiven Vorstellungen von Zukunft? Ist Zukunft ein Begriff mit festem Stellenwert in der Konstruktion des individuellen Seins? Wird sie befragt? Wird sie besprochen? Welche Mittel werden eingesetzt, um die Zukunft zu befragen? Und sehen die Befragten darin überhaupt einen Sinn?

Um diesen Fragen nachzugehen, beauftragte finger das Institut für Meinungsforschung I.P.S.A. (Institut für psychologische und soziale Analysen, Bauer & Blank / Frankfurt am Main) damit, eine von ihnen getroffene Auswahl von 10 Personen zu befragen, die sich professionell mit Zukunft beschäftigen. Parallel befragten Mitarbeiter von finger ebenfalls 10 Personen, für die Zukunft eher ein Bereich unter vielen anderen ist. Thema war für alle Befragten ihre Vorstellungen von ãDemoskopiaÒ.

Die InterviewpartnerInnen wurden zunächst zu ihrem persönlichen Verhältnis zur Zukunft und ihren Wunsch, diese vorherzusagen, befragt. Darauf folgte die Fragestellung, wie sich unsere InterviewpartnerInnen, gesetzt den Fall, sie wären die LeiterInnen eines neu zu gründenden Meinungsforschungsinstitutes, sich dessen ideale Bedingungen vorstellen würden. Was wäre eine ideale Umfragesituation? Welches wäre der dafür geeignete Ort? Wer sollten die zu befragenden Personen sein und welche Kompetenzen benötigen die MitarbeiterInnen des Instituts?

Als erstes Ergebnis ist nach Beendigung der Interviewreihe festzustellen, dass viele der befragten Personen, Spezialisten wie Privatpersonen, die Vorstellung von Demoskopia rundweg ablehnen. Die Argumente dafür sind: es würde elitär sein und realitätsfern. Manche erwähnen, es wäre faschistisch, eine solche Versuchsanordnung zu konstruieren. Auch stellte sich die Frage, ob Demoskopia notwendigerweise repräsentativ sein sollte. Arthur Fischer, der Leiter des Instituts Psydata erwähnte dazu, dass der Bau eines repräsentativen Demoskopias hinfällig wäre, weil es bereits existiere. Der Name der kleinen Stadt ist Hassloch, eine Gemeinde in der Pfalz, die zufällig dieselbe soziodemographische Zusammensetzung der Bevölkerung aufweist, wie die Bundesrepublik. Vorangegangen ist der Ablehnung Demoskopias häufig auch die allgemeine Skepsis bezüglich der Relevanz von Meinungsforschung. Aus der Erfahrungen mit anderen Meinungsumfragen, erwähnen die meisten der InterviewpartnerInnen, dass die derzeit geführten Umfragen auschließlich dazu dienen, ihr Konsumverhalten festzustellen. Ihre wirkliche Meinung ist nicht gefragt oder wird aufgrund zu unpräziser Fragen und zu fahrlässiger BefragerInnen gar nicht erfasst. Auch wird erwähnt, dass in den Befragungen von vorn herein nur Personen zu Wort kommen, die bereits am allgemeinen Meinungsbildungsprozess teilhaben. Die Stimmen von VertreterInnen aus Randgruppen werden nicht aufgezeichnet. Ein ebenfalls häufig genannter Aspekt der Skepsis ist die mangelnde Wissenschaftlichkeit der Erhebungen, aufgrund der gewinnorientierten Motivation derjenigen, die die Umfrage in Auftrag geben.

Ein ganz allgemeiner Zweifel, bezüglich der Effizienz von Zukunftsprognosen, liegt in der Wahrnehmung der Ergebnisse. Mehrere Befragte führen an, dass weithin bekannte Prognosen, die aus nicht allzu sehr zu bezweifelnden Quellen stammen, nicht zu Verhaltensänderungen in der Bevölkerung führen. (Bsp. Klimaveränderung). Zukunftsprognosen seien immer negativ und führten eher zur Verdrängung, denn zu konstruktiven Reaktionen. Trotz der Ablehung von Meinungsforschung oder der inszenierten Supervariante mit dem Namen Demoskopia, evozierten unsere Fragen aber bei den Befragten in allen Fällen konstruktive Überlegungen. Viele nennen im Gespräch Alternativmodelle zur Sichtbarmachung der aktuellen Bedürfnisse der Menschen. Ein ãInstitut für WünscheÒ wird zum Beispiel als Instrument erdacht, um individuelle Problemfelder aufzudecken und auf den daraus resultierenden Erkenntnissen ein individuell besseres Leben in der Zukunft gestalten zu können. (Marion. K.) ãHäuser der ZukunftÒ werden ersonnen, miteinander vernetzte Baustellen für die Diskussion und Planung von Zukunft. (W. Spielmann) Eine ganze Palette an Werkzeugen zur Reflektion und Gestaltung von Zukunft ist durch die Befragung sichtbar geworden und was überzeugt ist, dass die Werkzeuge der befragten Privatpersonen den Werkzeugen der Spezialisten nicht nachstehen.

Die Frage nach Demoskopia und der vertiefende, gemeinsam mit I.P.S.A. entwickelte Fragen-Katalog war im Sinne der Recherche ein geeignetes Instrument, um mit den befragten Personen in ein ausführliches Gespräch zu kommen und über die Gestaltung ihrer Gegenwart und möglicherweise ihrer Zukunft mehr zu erfahren. Ziel der Untersuchung ist es, weniger ein fest umrissenes Bild der fiktiven, statistisch idealen Situation ãDemoskopiaÒ zu eruieren, als vielmehr vor dem Hintergrund der spezifischen Fragen ein breites und detailliertes Bild des gegenwärtigen Umgangs mit Zukunft zu entwickeln. Insofern tritt die umfragenspezifische Auswertung der Antworten in den Hintergrund, und die Darstellung der vertretenen Meinungen in ihrer detailreichen Fülle in den Vordergrund der Untersuchung.

Uns interessiert das, was herkömmlicherweise keine Statistik beschreibt. Die Situation der Erhebung selbst, das scheinbar Nebensächliche in den einzelnen Beschreibungen der Zukunft, bei denen immer wieder, beinahe beiläufige, äußerst präzise Darstellungen der Gegenwart und ihrer möglichen Weiterentwicklungen aufblitzen.

(finger ¥ Juni 2002)

→über demoskopia    →Der Wahrsager    →Der Medizinmann    →Der Mythenforscher   →Der TV-Journalist →Der Produkteerschaffer    →Die Bibliothek für Zukunftsfragen    →Der Managementberater   10 Befragungen