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projekt: demoskopia / Der Managerberater

Matthias Rhein, Managementberater

Biographische Hintergründe
Geb. 11.12.1960 in Aschaffenburg/Bayern, verheiratet, ein Kind.

Beruflicher Werdegang
Die Schwerpunkte meiner beruflichen Ausbildung und Tätigkeiten liegen in den Bereichen Management, Umweltökonomie, Kommunikations- und Informationswissenschaft. Nach dem Abitur wollte ich vor allem reisen. Die Karriere des Akademikers schien mir genauso öde wie die des Geschäftsmannes. Ich habe mich also für das Studium der tropische Forstwissenschaft in Göttingens Universität eingeschrieben. Das schien mir eine gute Möglichkeit zu sein, um zu reisen und in anderen Ländern Fuß zu fassen - nicht bloß Tourist zu sein. So habe ich denn - obgleich ich den größten Teil meiner Studienzeit (wie auch schon meiner Schulzeit zuvor) auf Reisen in Afrika, Amerika und vor allem in Asien verbracht habe und nur zu den Prüfungen nach Deutschland eingereist bin - meinen Abschluß als Diplomförster für Tropen und Subtropen gemacht. Während meiner Studienzeit habe ich mein Geld zumeist durch Forschungs-, Entwicklungs- und Beratertätigkeiten im Bereich der Informationstechnologie verdient, habe aber auch in anderen Bereichen, z.B. als Leiter einer botanischen Expedition in Nepal, gearbeitet. Vor 14 Jahren habe ich begonnen, als Berater für größere internationale Entwicklungsbanken und bilaterale Entwicklungsorganisationen zu arbeiten. Anfangs lag mein Schwerpunkt im technischen Bereich, doch ich musste bald feststellen, dass die grundlegenden Probleme systemischer, nicht technischer Natur sind und daher nur auf politischer und institutioneller Ebene gelöst werden können. Mein Schwerpunkt hat sich dementsprechend verschoben. Ich habe bisher 65 Länder bereist und war noch nie in meinem Leben fest angestellt, sondern stets selbstständig. Derzeit habe ich meinen ersten Wohnsitz in Ghana, wo ich ein langfristiges Reform- und Privatisierungsprogramm im öffentlichen Sektor leite, und arbeite den Rest des Jahres in Kurzzeiteinsätzen als Managementberater in einem Umweltprogramm für die Provinzregierung Yunnan in China. In all meinen Aufgabenbereichen habe ich - mal mehr und mal weniger - mit der Ausarbeitung und Interpretation von Prognosen und Konzepten für die Zukunft zu tun.

Anekdote aus der Praxis
Diese Art von Tätigkeit ist nicht immer einfach, vor allem wenn verschiedene kulturelle Wertsysteme aufeinanderstoßen. Ich komme gerade aus China. Dort sind Begriffe wie "Institutionelle Reform" ein strenges Tabu. Obgleich dieses Thema in meinem vertraglich definierten Bereich als Managementconsultant fällt, weigerten sich meine chinesischen Partner anfangs, mit mir überhaupt darüber zu reden. Oftmals wurde ich gar nicht erst empfangen, sondern stand - im bildlichen wie im wörtlichen Sinne - vor verschlossener Tür. In der alten alchemistischen Literatur über den Taoismus, die ich mir abends im Hotel zu Gemüte führte, fand ich dann einen Text namens Wuzhen pian (Erwachen zur Wirklichkeit) — ein poetisches Werk von Zhang Boduan. Dieser Titel erwies sich als Schlüssel. Das war ein Begriff aus der Kultur Chinas, den meine chinesischen Partner nicht als westlich abtun oder ignorieren konnten. Mit diesem Begriff auf der Fahne konnten wir plötzlich gemeinsame Visionen und Reformprogramme entwicklen. Ein Beispiel dafür, wie eng Sprache, Kultur und Zukunftsverständnis zusammenhängen.

Mein Beitrag
Den Bereich, den ich durch meine berufliche Erfahrung abdecke und in dessen Rahmen ich einen Beitrag liefern möchte, hat also etwas mit Informationsverarbeitung und Wissensmanagement, im weiteren Sinne mit Kommunikation zu tun. Das hat für mich einen direkten Bezug zur Zukunft, zu deren Vorhersage, Deutung, wie auch Gestaltung. Eine Sache, die ich während meiner Arbeit gelernt habe, ist, dass es nicht so sehr auf die eigentlichen Resultate ankommt. Viel wichtiger als die Entwicklung und rigorose Durchsetzung von Zukunftskonzepten ist es, Entwicklungsprozesse mit eingebauten Rückkopplungsschleifen in Gang zu setzten und die Leute, die es betrifft, mit in diese Prozesse einzubeziehen. Es ist doch interessant, dass der Begriff "Rückkopplung" die Wurzel des Wortes "Religion" bildet (religare = rückkoppeln). Um solche Prozesse zu starten und zu erhalten, braucht man u.a. die richtigen Kommunikationsstrategien. Ich vermute stark, dass dies auch für Demoskopia gelten wird. Es geht um Prozesse und nicht um dauerhafte Zustände.

Gegenwartsdefinition und Zukunftsverständnis — Definitionen der Begriffe
Zukunft - was ist das? Die Zukunft hat viele Namen. Für den Ängstlichen ist Zukunft das Unerwartete, für den Schwachen ist Zukunft das Unerreichbare, für den Starken ist Zukunft die Chance. Zukunft ist etwas, was jetzt nicht ist, die Zukunft existiert nicht für uns. Wenn die Zukunft eintritt, ist sie bereits zur Gegenwart geworden. Aber dadurch, dass es sie nicht gibt, wird sie zu einem Etwas, das es nicht gibt. Über dieses "Etwas" können wir sprechen. Das hat ja schon seit Menschengedenken hohes Interesse bei uns Sterblichen hervorgerufen.

Hintergrund
Es kommt also ganz darauf an - auf den Hintergrund meine ich. Im Hintergrund sehe ich zwei scheinbar gegensätzliche Geisteshaltungen. Einmal gibt es den ursprünglichen, magischen Begriff von der zyklischen Zeit. Die zyklische Zeit läßt sich gut in ein harmonisches, aus Gegensätzen aufgebautes Ganzes integrieren. Doch eine Zeit, die linear aus der unbekannten Vergangenheit in eine unbekannte Zukunft läuft, die lässt sich nur schwerlich integrieren. Das ist doch höchst unbefriedigend, oder? Vielleicht mühen sich deshalb so viele Kulturen darum, einen definitiven Anfang zu erdichten. Und einige Kulturen erdichten sogar noch ein definitives Ende der Zeit dazu — den Jüngsten Tag zum Beispiel. Damit wird die Zeit — obgleich immer noch linear — wieder endlich, überschaubar und integrierbar. Die Zukunft scheint uns weniger beunruhigend, wenn wir den Trend erkennen, den Lauf der Ding voraussagen können. Im ursprünglichen durch Bilder kodierten magischen Weltbild der zyklischen Zeit, da war am Anfang der Traum. In unserem geschichtsschaffendem Bewusstsein der linearen Zeit, da steht am Anfang das Wort. Dieser Kampf von Bild gegen Text, von Magie gegen Wissenschaft, von wissenschaftlicher Prognose gegen Orakel steht für mich im Kern des Geschichtsprozesses - und er wird sich wohl auch in Demoskopia zeigen. Wenn ich nun die Zeichen der Zeit betrachte, dann sehe ich einen Zerfall der Texte, dann denke ich, unsere Zukunft, naja, vielleicht wird das ja so: wenn nichts mehr erzählt wird, sondern nur noch abgezählt und abgebildet, dann gibt«s auch keine Geschichte mehr. Das Ende der Geschichte und die Zeit danach sind das, was mich am meisten an der Zukunft fasziniert. Vor dem Ende der Geschichte wird es nichts wirklich Neues geben.

Bezug zu Prognose und Orakel
Zukunftsprognosen und Orakel haben etwas mit Wissen und Bedeutung zu tun; da geht es um Sinn, um Kommunikation. Wir möchten gerne Mitteilungen empfangen aus der Zukunft - sinnvolle Mitteilungen, um genau zu sein. Es ist doch so: sobald wir etwas erklären, also im Bereich der wissenschaftlichen Prognose sind, dann wird es zur Natur. Sobald wir etwas deuten (interpretieren), dann wird es für uns zu Geist, dann macht es Sinn. Darin liegt einer der Unterschiede zwischen Prognose und Orakel. Die Frage nach Zukunftsvoraussage und -deutung ist für mich die Frage nach der Kommunikation schlechthin. Eine aktuelle Frage, finde ich, denn letztere scheint mir in einer Krise zu stecken.

Zukunftstrends und Kommunikation
Kommunikation läßt uns die Welt als Netz von Codes erleben, erkennen und bewerten. Sie überdeckt eine an sich bedeutungslose Welt (Natur) mit Sinn und Bedeutung. Deswegen ist Kommunikation so wichtig für uns. Deswegen wollen wir die uns unbekannte Zukunft kennen und deuten. Orakel und Zukunftsprognosen sind somit kein Ding der Notwendigkeit, sondern ein Ausdruck menschlicher Freiheit. Geschichte ist also nicht wirklich unser Fehler. Also im Großen und Ganzen sehe ich es so: wir kommen aus einer magischen Welt, in der Bilder direkt Zukunft gestaltet haben. Dann kam die Zeit des Alphabets, des historischen Bewusstseins: Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe. Am Anfang, am Ursprung steht der Abgrund zwischen mir und der Welt. Wie versuche ich diesen Abgrund zu überbrücken und dem ganzen einen Sinn zu geben? Durch Symbole. Doch dann werden die Symbole langsam zu meiner zweiten Natur. Ich sehe also die Welt nicht mehr durch die Symbole hindurch, sondern ich sehe die Symbole für die Welt an: die Landkarte wird mir zur Landschaft. Da liegt das Problem (auch für Demoskopia). Das ist die Software, die unsere Wirklichkeit, unsere Vergangenheit, unser Jetzt und unsere Zukunft webt. Wenn wir die nicht erst verstehen, was nutzt uns dann ein Wissen über die Zukunft ? Wir könnten es gar nicht richtig deuten. Was wir zur Zeit beobachten, das ist ein Verfall der Texte oder des Verstehens von Texten. Wir sehen mehr und mehr Bilder: Werbung und Medien und und und - verbreitet durch eine immer perfekter werdende Technologie. Also könnte man denken, wir gingen von der Welt der Texte, vom historischen Bewusstsein, vom Erzählen, von Geschichte zurück in die Welt der Bilder und der Magie. Da ist die eigentliche Gefahr, die ich sehe. Denn das tun wir keinesfalls. Medienbilder funktionieren, weil sie uns vorgaukeln wie magische Bilder zu sein. Aber sie sind es nicht wirklich. Mein Vorfahr, der Bilder an die Höhlenwand gemalt hat, der wollte keine Szene abbilden, sondern er wollte eine Szene gestalten, er wollte im Grunde seine (und damit meine) Zukunft gestalten. Wenn er Bilder von Tieren malte, dann wollte er, dass diese Tiere zur Jagd erscheinen. Das waren keine Abbildungen vergangener Jagdszenen. Die Medienbilder verdammen uns dazu, passive Konsumenten zu sein (Brot & Spiele), während die magischen Bilder eine aktive Gestaltung der Wirklichkeit und der Zukunft waren, ein Akt des Willens. Wenn die Bilder für uns nicht mehr Instrument sind, um unsere Zukunft zu gestalten, dann wird aus einem Orakel leicht ein Zwangsritual. Anstatt zu vermitteln, stellen sich die Botschaften (aus Orakel oder Prognose) dann zwischen uns und die Welt. Die Welt wird uns verstellt und daher unvorstellbar: Bewusstsein wird Negation. Die Sache ist halt, wir meinen zuerst alles erklären zu müssen, bevor wir uns etwas vorstellen können. Der Abgrund zwischen der Welt und uns selbst ist für uns nur durch Begriffe überbrückbar, außer wir wagen den Sprung zurück in die Magie. Sollten wir das wagen? Es gibt einen wichtigen Einspruch: dieses historische Bewusstsein, dieses Lineare und der Text und das Alphabet und alles, was damit einher kam, das hat uns doch im Grunde genommen vor dem exessiven Reichtum der magischen Bilderwelt gerettet. Das ist doch ein Instrument unseres Willens. Der Sprung in die Bilderwelt könnte ein Sprung ins Nichts werden. "Existieren" heißt ja "außerhalb stehen", dh. wer liest und reflektiert, steht außerhalb. Der, der in der magischen Bilderwelt oder in der Medienbilderwelt lebt, der ist Spiegel von Spiegeln.

Das Ende der Geschichte
Frage: Was passiert nach dem Ende der Geschichte Antwort: Das ist eine interessante Frage. Das ist im Grunde genommen die unmögliche Frage. Was ist meine Vorstellung von etwas, was man sich nicht vorstellen kann? Dazu muss man dann wohl den Stammesschamanen befragen. Ich stelle mir das so vor: Der Schamane - eine Art personifiziertes Orakel - ist jemand, der das Ende gesehen hat und deshalb fürchtet er das Jetzt nicht. Er ist der Gegenwart gegenüber relativ gelassen, denn er weiß, wie alles endet. Es ist ja so, dass all die Prozesse, die die Dinge und Abläufe immer komplexer machen, immer schneller verlaufen. Von der einen Seite empfangen wir Signale wie: "Halt, wir erreichen Grenzen des Wachstums." Von der anderen Seite hören wir: "Du musst wachsen, größer, höher, schneller ..." Für mich sieht das auf den ersten unkritischen Blick aus wie ein umgekehrter Entstehungsprozess. Wenn man bedenkt, dass das Universum mal in Bruchteilen einer Sekunde während des Urknalls aus einer Singularität (gegen alle Wahrscheinlichkeit) entstanden ist, dann kann sich doch auch unsere ganze Zukunft innerhalb von wenigen Sekunden abspielen. Danach wird die Blase des uns bekannten Daseins einfach platzen. Was passiert nach dem Ende der Geschichte? Das wäre vielleicht eine interessante Herausforderung an diese Gemeinschaft, die Demoskopia erschaffen will. Man sagt doch: Politik ist die Kunst des Möglichen. Und was wir von Politik zu erwarten haben, das wissen wir ja inzwischen. (Würdest du gerne und guten Gewissens die Zukunft deiner Kinder in den Händen von Politikern wissen? Ich sicherlich nicht!) Wie sieht ein Leben nach der Politik aus? Demoskopia sollte sich auf die Kunst des Unmöglichen konzentrieren. Die Frage nach der Zukunft würde dann mit Begriffen des Unmöglichen beantwortet werden, anstatt immer nur nach dem zu fragen, was unserer beschränkten Auffassungsgabe nach möglich ist. Wäre das nicht viel interessanter und orgineller dazu? Der Weg zum Ende der Geschichte ? Wichtig ist doch das authentische Erleben anstatt immer neue Medienbilder oder Texte zu schaffen. Das ist etwas, was du nicht kaufen kannst. Das kann dir auch niemand verkaufen. Stell dir den Menschen mal als Individuum mit freiem Willen vor, der bewusste Entscheidungen trifft. Das wäre doch der absolute Alptraum der Politiker und Wissenschaftler, Polizisten und Händler. Alle werden dir sagen: Das ist Chaos. Das muß kontrolliert werden, um jeden Preis. Der Weg ans Ende der Geschichte, das ist wie die Eroberung einer neuen Dimension. Das können wir uns jetzt nicht vorstellen. Ich denke, dass man aus dieser neuen Schau und dem neuen Verständnis heraus die scheinbaren Gegensätze (wie z.B. der zyklischen und der linearen Zeit - die die Geschichte angetrieben haben) nicht mehr als Gegensätze erlebt.

Persönliche Orakel Beispiele
Ich kenne Zukunftsvorhersagen aus vielen Kulturen, habe auch selber schon oft Orakelsitzungen beigewohnt. Ich kenne das Orakel beispielsweise:

- als Mittel der Heilung und Reinigung. Ich erlebe häufig - auch in meinem derzeitigen Hauptwohnsitz in Ghana - dass Leute mit ihren Problemen zum Schamanen kommen. Oft geht es dabei um Reinigung und Heilung. Das ist ein bedeutender Bereich auf einer ziemlich persönlichen Ebene. Da werden Orakeltechniken benutzt, um ein Türchen zu sich selbst, zum Unbewussten, zur Seele zu öffnen. Man sucht den Kontakt, sei es nun zur Zukunft, zu den Ahnen, zum Unter- oder Unbewussten. Der rganismus fordert sein Geburtsrecht und das Orakel vermittelt in dieser Angelegenheit.

- als Schnittstelle und Mittler zwischen Natur und Zivilisation Ich bin während meiner Reisen schon oft als Zeichen der Zukunft interpretiert worden, oftmals einfach durch mein anderes Aussehen. Als ich für die Asiatische Entwicklungsbank gearbeitet habe, musste ich - zusammen mit meinem philippinischem Kollegen Richard Fernandez - in entlegene Gegenden der Philippinen wandern (was nebenbei bemerkt recht beschwerlich war). Wir sind dabei in Dörfer gelangt, die noch nie zuvor Fremde gesehen hatten. Manche davon waren noch Jäger und Sammler, nur mit Holz- und Steinwerkzeugen ausgerüstet. Dabei ergab es sich, dass wir in ein Dorf kamen, wo sie noch nie zuvor einen Weißen erblickt hatten. Ich wurde vom Schamanen als Zeichen für den kommenden Regen gedeutet, wurde also selbst Teil eines Orakles. Der Regen stellte sich nicht ein und Richard war darüber ebenso beunruhigt wie der Stammeshäuptling. Es endete letztlich damit, dass wir ob des ausbleibenden Regens meinen Kopf und mein Leben mit 4 Litern Rum erkaufen und rasch die Flucht ergreifen mussten. In einem anderen Dorf wurde ich dann höflich gezwungen, einen Fruchtbarkeitstanz auf den lokalen Feldern aufzuführen, was ich, nur mit einem traditionellen grünen Lendentuch bekleidet, russische Volksweisen dabei singend, auch getan habe. Die Qualität meines Tanzes — oder was auch immer die Schamanen darin sahen — bestimmte dann die Qualität der Ernte. In Ghana habe ich folgendes erlebt: Um eine gute Beziehung zu einer Gemeinde am Rande eines Naturschutzgebietes aufzubauen, mussten wir eine Ziege als Orakelopfer spenden. Mehr als das: man verlangte auch noch, dass wir an den Zeremonien teilnahmen, barfuß über weiße Hühnerfedern liefen, einen heiligen Berg bestiegen, etc. Das Orakel auf dem Berge sagte dann Regen noch am gleichen Tage voraus. Unsinn, dachte ich, denn wir befanden uns zur Trockenzeit im Bereich der Trockensavanne - da gibt es bezüglich des Wetters keine Überraschungen. Umso überraschter war ich dann, als wir auf dem Rückweg ins Dorf, ein heftiges Gewitter über uns ergehen lassen mussten. Auf der Rückfahrt nach Accra mussten wir — triefend nass im Auto sitzend — zudem festellen, dass es nur in diesem einen Dorf geregnet hatte. Die umliegenden Dörfer waren trocken geblieben.

- als Mittel die eigene (v.a. materielle) Situation zu verbessern. Man denke mal ans Glückspiel, an Sport oder an die Börse, da gibt es ziemlich viele orakelnde Leute. Das kann sogar zur echten Besessenheit werden. Ich habe auf einem Flug nach Hongkong mal einen älteren, reichen chinesischen Geschäftsmann getroffen. Der tätigte seine ganzen geschäftlichen Transaktionen nur nach einer Konsultation mit seinem Schamanen und Ahnen-Weissager. Er erzählte mir auch, auf den Hongkong-Dollar genau, wieviel Geld er gerade an der Börse verdient hat, wobei alle Kauf- und Verkaufsentscheidungen von seine Ahnen getroffen wurden. Das ist kein Einzelfall.

- als eine Stütze der sozialen Ordnung. In Indien ist die Hochzeit ein ganz wichtiges soziales Ereignis. Entsprechend gibt es dort auch viele Zukunftsdeuter, die erforschen, welcher Mann zu welcher Frau passt und wann der günstigste Hochzeitstermin ist. Der Astrologe soll stabile Familien und damit auch die Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung garantieren. In Ghana hingegen ist das wichtigste soziale Ereignis nicht die Hochzeit, sondern die Beerdigung. Ich habe meine ghanesischen Partner und Freunde oft gefragt, warum das so wichtig ist in ihrer Kultur. Meist hat man mir geantwortet: bei der Beerdigung freut man sich, dass man selber noch eine Zukunft hat - im Gegensatz zu demjenigen, der gerade beerdigt wird. Soziale Ereignisse wie eine indische Hochzeit oder eine ghanesische Beerdigung sind kostspielig und können eine Familie an den Rand des finanziellen Ruins treiben.

- die politischen Funktion des Orakels. Es gibt da noch andere politische Funktionen des Orakels. Orakel haben Schlachten entschieden. Man weiß, dass z.B. Wallenstein, Napoleon, Adolf Hitler, Josef Stalin und zahlreiche andere kriegerische Herren das Orakel geschätzt und konsultiert haben. Während der Jahre, die ich in Russland gearbeitet habe, haben auch Jelzin und Putin das Orakel in Gestalt einer bulgarischen Wahrsagerin namens Vanga aufgesucht. Sie erinnert ein bisschen an den Imperator aus "Starwars" mit einem Cape über den leeren, erblindeten Augen. Sie sah recht erschreckend aus und sie hat bestimmend auf die russische Politik gewirkt. Kein Einzelfall. Denk mal an Rasputin ...

- das Orakel als Künder des Schicksals. Es gibt sicher noch viele andere Formen des Orakels, aber eines hat mich schon als Kind verwundert: das Orakel als Künder des unentrinnbaren Schicksals. Man denke mal an Ödipus und viele andere Charaktere aus der griechischen Götter- und Heldenwelt. Oder auch Macbeth. Das Orakel verkündete ihnen eine - meist düstere - Zukunft und es gab nichts, was der Held/die Heldin dagegen tun konnte. Es kam genau so. Was hat es ihnen genutzt? Wichtig scheint mir — gerade im Hinblick auf Demoskopia — die Einsicht, dass es grundverschiedene Typen des Orakels gibt. Da gibt es die Pythia in Delphi, die Astrologen, die Zeichendeuter - die "Experten", die einem die Zukunft mitteilen oder erklären. Aber es gab und gibt auch die interaktiven oder direkten Formen des Orakels, die ohne dubiose Experten auskommen (wie das Traumorakel im alten Griechenland und das I-Ging). Meine Vorliebe für die direkte Erfahrung gegenüber dem vermittelten Text oder Bild habe ich ja bereits kund getan.

Methoden der Zukunftsprognosen Wissenschaftliche Prognosen
In meiner beruflichen Tätigkeit geht es oft um das Beschreiben, Verändern und Steuern von dynamischen und komplexen Systemen. Man kann ein System (und das eigentliche Problem) nicht begreifen, wenn man nur dessen Status-quo, d.h. seinen Jetzt-Zustand, betrachtet. Um ein komplexes und dynamisches System zu verstehen, zu verändern und zu steuern, muss man auch etwas über seine Zukunft, d.h. über sein Verhalten und seine Entwicklungsabläufe wissen. Doch es fällt uns Menschen schwer, Gestalten in der Zeit wahrzunehmen und Entwicklungsverläufe vorherzusagen, vor allem bei nicht-linearen Abläufen. Wäre es anders, dann gäbe es wohl auch keine Orakel. Die Geschichte des Ministers aus dem alten Orient, welcher das Schachspiel erfand, bietet uns ein gutes Beispiel dafür. Dem König gefiel das neue Spiel und er gab dem Minister einen Wunsch frei. Der Minister verlangte, dass man ein Reiskorn auf das erste Schachfeld lege und dann die Zahl der Körner mit jedem Feld verdopple. Dies schien dem König ein recht bescheidener Wunsch zu sein. Es war ihm wohl nicht klar, dass auf dem letzten Feld 263 Reiskörner liegen würden. Das sind - bei etwa 60 Reiskörnern pro Gramm - mehr als 150 Milliarden Tonnen Reis. Viel interessanter ist aber die Reaktion des Königs, der den Verlauf der Entwicklung (d.h., die Zukunft) nicht richtig einschätzen konnte. Der ließ den Minister nämlich köpfen. Menschlich, allzu menschlich. Wir lernen also: wenn die großen Lenker die Zukunftsentwicklung falsch einschätzen, dann leiden vor allem die Kleinen und die vorlauten Denker. Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Malthuskatastrophe, benannt nach dem britischen Nationalökonom Thomas Robert Malthus (1766-1834). Er glaubte zu erkennen, dass die Weltbevölkerung exponentiell anwuchs, während Steigerungen in der Nahrungsproduktion nur linear wuchsen. So kam er zu dem Schluss, dass es in der Zukunft mehr Menschen geben würde als Nahrung, um diese am Leben zu erhalten. Die Menschheit steuert auf die Katastrophe zu - ein ebenso altes, wie populäres Thema. Exponentielles Wachstum gibt es aber nur bei unbeschränkten Resourcen - einem Fall, der eigentlich nur in der Theorie vorkommt. So irrte sich der alte Malthus (und später auch Meadows mit dem Club of Rome) und die Katastrophe blieb aus. Nichtsdestotrotz lehrreiche Beispiele. Die Wissenschaft entwickelt immer mehr Instrumente und bessere Modelle, um Systeme und deren Entwicklungsabläufe zu beschreiben. Einige dieser Systeme - die interessantesten unter ihnen - werden oft mit den Begriffen komplex, dynamisch, adaptiv, dissipativ usw beschrieben. Im populären Spachgebrauch spricht man dagegen von chaotischen Systemen. Man versteht solche Systeme heute besser als zu Zeiten von Malthus oder Meadows. Der Computer und die wachsende Rechenleistung haben da eine neue Tür geöffnet. Aber das bedeutet nicht, dass man bessere Prognosen über die Zukunft stellen kann. Man versteht "chaotische" Systeme heute nämlich soweit, dass man erkennt, warum man keine genauen Zukunftsprognosen stellen kann. Ein einfaches Beispiel: z" + c = y Vielleicht kennst du die Gleichung ja noch aus dem Matheunterricht als eine Parabel. Doch wir benutzen einen kleinen Trick und konstruieren eine denkbar einfache Rückkopplungsschleife: bei jedem neuen Rechenschritt bilden wir y auf z ab, d.h., das Ergebnis des letzten Rechenschrittes (yi-1) wird zum Eingangswert des nächsten Rechenschrittes (zi). Damit wird unsere Gleichung rekursive - so ganz wie im Leben. Und das macht einen gewaltigen Unterschied, denn der Verlauf dieser rekursiven Gleichung kann bereits unvorhersehbar werden ! Es kommt ganz auf den Startwert von z und die Konstante c an, ob der Verlauf der Gleichung als ordentliche Kurve — vorhersehbarer Verlauf der Ereignisse — oder als ein wilder Klecks scheinbar zufällig über das Blatt verteilter Punkte — unvorhersehbarer Verlauf der Ereignisse — erscheint. Kleine Ursachen haben große Wirkungen — dank positiver Rückkopplung — die man nicht mehr vorhersagen kann. Dieses Beispiel gehört in den Bereich, der heute — fälschlicherweise — Chaosmathematik genannt wird. Poincare — ein französischer Mathematiker - hat das als erster entdeckt und beschrieben. Poincare war ein typischer trockener humorloser Professorentyp. Er hatte also nicht die Medienwirksamkeit eines Einstein, aber er hat all das, was Einstein später entdeckte, vorweg genommen und mathematisch beschrieben. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass ich keinen einzigen Wissenschaftler kenne, der Einstein für den größten Wissenschaftler hält. Nur Laien tun das. Das bringt uns zurück zum Medienzirkus. Von Einstein hast du bestimmt schon viele interessante Bilder gesehen, oder? Aber hast du je ein Bild von Poincare gesehen ? Nur weil die Leute sein Bild kennen - endlos reproduzierbar im großen sozialen Gedächtnis gespeichert - glauben sie, Einstein sei der genialste Wissenschaftler. Beherrsche die Bilder und du gestaltest die Zukunft für die Massen. Ist doch erschreckend, oder ? Zurück zur wissenschaftlichen Prognose. Es geht hier nicht wirklich um das Chaos, sondern um eine neue Form von Ordnung, die wir zwar nach und nach zu verstehen beginnen, die uns aber nicht mehr erlaubt, genaue Zukunftsprognosen zu stellen. Damit sind wir bei einer der zentralen Fragen meiner Arbeit angelangt: Wie steuert man solche Systeme ? Oder genauer: Wie bringt man Individuen und Organisationen bei, solche Systeme zu verändern und zu ihrem eigenen und allgemeinen Nutzen zu steuern (um ein bestimmtes Ziel zu erreichen)? Ich versuche gar nicht mehr, jeden einzelnen Prozess zu identifizieren oder zu verstehen, sondern einen intuitiven Blick für die Gestalt des Ganzen zu bekommen. Dann sehe ich ein großes Bild von Hierarchien von Systemen, ineinander verschlungen, eingebettet in anderen Systeme. Oftmals gilt dann die alte 80/20-Regel und der Verstand, den der Anblick dieses Bildes erstmal verschreckt hat, kann zurückkehren und einem dabei helfen herauszufinden, welche 20% der Knoten, an denen sich Schlüsselprozesse treffen, wesentlich, d.h., steuerbar sind. Dies zu tun ist selbst ein Prozess, d.h., die Auswahl der Knoten, der Steuermaßnahmen und der Resultate sind rückgekoppelt und wandelbar. Der Prozess der Erkenntnis und des Experimentierens kann das beobachtete System sogar verändern. Simulationen und Tests sind hilfreiche Instrumente in diesem Lernprozess. Man kann darüber streiten, ob denn nun Wissen, Begabung, Intelligenz, Erfahrung oder was auch immer die entscheidende Zutat ist. Aber die eigentliche Herausforderung hat noch gar nicht begonnen. Die besteht nämlich darin, die gefundene Lösung in eine bestehende Kultur (Landeskultur, Unternehmenskultur, Denkungsart usw.) zu integrieren. Das hat offensichtlich etwas mit Lernen und Kommunikation zu tun. Wenn man das Ganze so aus der Ferne betrachtet, dann sieht«s relativ einfach aus - aber der Teufel steckt auch hier im Detail. Es gibt wenig Grundregeln, die einem bei dieser Aufgabe helfen könnten. Das meiste ist - wie ja schon unser mathematisches Beispiel von vorhin zeigte - äußerst situationsbedingt. Was heute und hier richtig ist, kann morgen und dort falsch sein.

Denkprozesse
Ich glaube - oder hoffe -, dass wir die Kapazität unseres Hirns noch nicht erschöpft haben, denn unser Hirn ist doch letztendlich das wesentliche Instrument, mit dem wir versuchen, irgendwas zu begreifen und Zukunft zu deuten oder zu prognostizieren. Vielleicht haben wir ja so eine Art Quantenbewusstsein - und haben nur nocht nicht verstanden es zu entdecken oder zu nutzen. Oder es fehlt uns einfach eine oder mehrere Dimensionen des Erkennens und Denkens, um die Lage wirklich zu verstehen. Wenn man mal ernsthaft versucht, einen einzelnen Gedanken in die Tiefe zu denken und durch die einzelnen Hirnwindungen hindurch zu verfolgen, dann entdeckt man, dass ein schöner, logischer, linearer Strang von Gedanken sich plötzlich atomisiert und dass sich selbst diese Gedankenatome noch weiter spalten lassen. Das menschliche Gehirn ist das komplexeste und parallelste Instrument, das wir kennen. Es ist aus mehr als einer Trillionen Zellen zusammengesetzt. Die meisten dieser Zellen füttern hunderte von Milliarden von Neuronen, welche Eingaben verarbeiten, Erinnerungen speichern und kontinuierlich die Tausende von Trillionen parallelen Verbindungen für ein optimales Funktionieren umstrukturieren (umprogrammieren). Gleichzeitig können Zehntausende von Eingaben in einem einzigen Neuron verarbeitet werden, um zu entscheiden, ob ein elektro-chemischer Impuls weitergegeben, verstärkt oder gelöscht wird. Doch unser Verstand ist ein Singularprozessor. Der macht einen Schritt nach dem anderen: eins, zwei, drei. So tickt der Verstand. Der wandert nicht durch eine Vielzahl paralleler Gedankennetze. Einzelne Gedanken, Gefühle, Emotionen und Erinnerungen verbinden sich zu einer logischen und linearen Kette von Ursache und Wirkung. Vergleicht man dieses klägliche - wenn auch nützliche - Resultat des Verstandes mit der eigentlichen Kapazität des Hirns, dann besteht durchaus berechtigte Hoffnung, dass wir dessen Grenzen noch nicht erschöpft haben.

Synthese - Ausblick auf Demoskopia Arbeitshypothese
Sehr hilfreich fand ich dabei Aleister Crowley's Definition von Magick. "MAGICK is the Science and Art of causing Change to occur in conformity with Will. Magick is the Science of understanding oneself and one's conditions. It is the Art of applying that ienunderstanding in action. Man is ignorant of the nature of his own being and powers. Even his idea of his limitations is based on experience of the past, and every step in his progress extends his empire. There is therefore no reason to assign theoretical limits to what he may be, or to what he may do. There is no limit to the extent of the relations of any man with the Universe in essence; for as soon as man makes himself one with any idea the means of measurement cease to exist. But his power to utilize that force is limited by his mental power and capacity, and by the circumstances of his human environment." Das ist eine gute Arbeitshypothese (auch für den Zukunftsforscher). Man sollte dabei im Hinterkopf haben, dass "Willen" in Crowley«s Interpretation nicht unbedingt das ist, was man möchte.

Gestaltungsvorschläge für Demoskopia
Du fragst nach den Charakteristika von einem Ort "Demoskopia". Ich denke, gerade die Nicht-Örtlichkeit ist für mich ein wesentlicher Designfaktor für ein Orakel der Zukunft (für was auch sonst). Ich würde Demoskopia als eine Art Netzwerk gestalten. Man könnte ein Netzwerk aus unabhängigen Prozessoren schaffen, sie mit Datenströmen aus der Wirklichkeit speisen und erstmal einfache Algorithmen einprogrammieren, damit die Prozessoren diese Datenströme zu weiteren Signalen verarbeiten können und miteinander interagieren können. Ich habe schon mit parallelen Prozessoren experimentiert, um Aufgaben, wie z.B. das Faktorisieren großer Primzahlen, zu lösen. Das ist zwar schwierig, aber diese Aufgabe läßt sich in kleine Teilaufgaben teilen. Dann gibst du jedem individuellen Prozessor eine Teilaufgabe und fügst sie am Ende wieder zum Ganzen zusammen. Dieses Konzept von parallelen Prozessen würde ich einen Schritt weiter zum neuronalen Netzwerk führen, wo wir wirklich gar nicht mehr wissen, was innerhalb des Netzwerks passiert. Demoskopia würde dann zu einem globalen neuronalen Netzwerk heranwachsen, das ähnlich arbeitet wie unser Gehirn: eine Art Blackbox. Die Prozesse (des Denkens), also das, was da eigentlich in diesem Netzwerk passiert, kann man nicht mehr analysieren. Sie zerfallen in Unwahrscheinlichkeiten und Wahrscheinlichkeiten und sind für uns gar nicht mehr erfassbar. Aber das Netzwerk ist adaptiv — es verändert sich ständig und es lernt. Es lernt bessere Prognosen zu machen. Die Resultate und Signale, die aus den einzelnen, vernetzten Prozessoren kommen, sind mit den Datenflüssen und den Algorithmen zu deren Verarbeitung rückgekoppelt. Wie unser Gehirn kann das Netzwerk die Algorithmen und Verbindungen zwischen Prozessoren untereinander und zwischen Prozessoren und Datenströmen aus der Wirklichkeit kontinuierlich neu strukturieren, sodass die Modelle im Fluss bleiben und der Wirklichkeit — die sich im stetigen Wandel befindet — immer ähnlicher werden. Ich sehe das Orakel der Zukunft als eine Welt am Draht mit einem allgemein zugänglichen Interface für den menschlichen Geist. Intelligenz ist der Schlüssel zum Verständnis und zur Kommunikation von Geist und Welt am Draht. Doch wird diese Welt am Draht uns näher zur Wirklichkeit führen ? Wir haben vorhin darüber gesprochen, wie Symbole zwischen uns und der Wirklichkeit stehen, anstatt Türen zur Wirklichkeit zu sein. Neuronale Computernetzwerke gibt es schon auf experimenteller Basis. Doch man kann da nicht halt machen, wenn man die Barriere zwischen Symbol und Wirklichkeit überschreiten will. Das Netz muß letztlich auch Mensch und Maschine ineinander weben. Die Evolution wird sich dann verändern. Sie hat sich so gesehen schon verändert. Sie ist bereits epigenetisch geworden, weil Technik unsere zweite Haut ist. Und das bringt uns wieder zurück zu den Medien - den sogenannten Mittlern zwischen uns und der Wirklichkeit. Laut einer Weltbankstudie hören 80% der Bevölkerung in den Entwicklungsländern im Wachzustand Radio. In den Phillipinen habe ich bei Eingeborenenstämmen sogar erlebt, dass bei jeder Arbeits- und Jagdpartie jemand mitgehen musste, der ein altes, in Einzelteile zerlegtes, jedoch noch halbwegs funktionstüchtiges Radio auf einem rituell beschnitzten Holzgestell trägt. Sein Job ist es, ein laufendes Radio zu sein — die Stimme der Wirklichkeit auch noch tief in den tropischen Regenwald zu tragen. Das waren Stämme, die ansonsten noch mit Holz-und Steinwerkzeug gearbeitet haben. Auch im tiefsten Urwald im Amazonasgebiet, wo die Männer noch mit einem Penisschaft und Federn bekleidet rumlaufen, lief den ganzen Tag das Radio. Das bedeutet im Grunde genommen, dass Ereignisse gleichzeitig auf der ganzen Welt erlebt werden. Auch die Reaktionen auf diese Ereignisse sind fast gleichgeschaltet. Und das heißt, dass unsere alte Vorstellung von Raum und Zeit sowieso nicht mehr existiert. Daher wäre es auch ziemlich unsinnig, von Demoskopia als Lokalität zu sprechen. Ein Orakel der Zukunft kann nur vernetzt und global sein, denn schon unsere Gegenwart ist ja vernetzt und global.

Demoskopia als Instrument der Meinungsforschung ?
Traditionelle Markt- und Meinungsforschung funktioniert eigentlich nur dort, wo man ein konkretes Produkt bzw. Zielgruppe hat. Das gilt auch für politische Umfragen (Beispiel: Hollywood Movie "Wag the Dog" mit Robert de Niro als amerikanischem Präsidentenberater, der mit Hilfe eines Medienmoguls — Dustin Hofman — einen Krieg gegen Albanien vortäuscht, um damit wegen der anstehenden Wahl von den sexuellen Verfehlungen des Präsidenten abzulenken.) Das funktioniert nur, weil auch Politiker wie Produkte vermarktet werden. Das impliziert den Missbrauch von Demoskopie als Mittel / Medium, um Menschen zu steuern. Das Netzwerk, an das ich denke, sieht anders aus. Es führt zur Individualisierung und bildet doch gleichzeitig eine Gemeinschaft. Es ist öffentlich zugänglich - nicht nur für Experten und Herrschende - und doch privat. Es gewinnt mehr und mehr Eigendynamik und ist für die Herrschenden nicht mehr steuerbar. Es kann ja überhaupt nur klappen, wenn es genug Interaktion zwischen Frage-Antwort gibt, wenn Nutzer und Netzwerk mehr und mehr verschmelzen.

Demoskopia als ekstatisches Orakel ?
Ist das möglich? In Delphi war es sicher anders: Für den Armen entschied das Los und der Reiche kriegte die Ekstase der Pythia und irgendeinen Spruch. Interessant ist auch die Episode mit Krösus und dem Delphi-Orakel. Der war so reich, dass er sich seine Zukunft gleich kaufen konnte. Diese Zweideutigkeit hat Delphi letzltich auch in Verruf gebracht. Das war praktisch die CIA der Antike. Es gab allerdings auch Orakel in Griechenland, die ganz anders strukturiert waren wie z. B. die Traumorakel. Da gab es im Grunde genommen gar keine Schnittstelle mehr zwischen Fragendem und Orakel (eigentlich gab es auch keine Frage mehr), die waren ganz individuell, zielten mehr auf direkte Erfahrung ab, anstatt auf zweideutige Sprüche. Man wurde z.T. berauscht und in Höhlen begraben bei solchen Orakeln. Interessant ist die Methode schon: man benebelt sich, um eine Sache klarer zu sehen - Klarheit durch Unklarheit. Hier können wir schon mal eine erste Zukunftsprognose wagen: Unsere Zukunft wird uns entweder zu einer neuen Form des Totalitarismus oder zu einer post-historischen Stufe menschlicher Kommunikation führen. Unsere Optionen: In einer immer bedeutungsloser werdenden Welt — eine Welt, die nurmehr sich selbst bedeutet — ein sinnloses Leben zu führen: die Zukunft des Totalitarismus. Oder eine neue Art von Bedeutung zu projezieren — eine neue Art von Dasein erschaffen. Die Alternative ist zu leben anstatt bloß zu funktionieren.

Nachtrag: Die Struktur des Netzwerkes
First of all, structure should follow strategy! Es wird einfacher, wenn wir uns die Netzwerkstruktur als eine Art Labyrinth vorstellen. Um das Labyrinth zu verstehen, müssen wir als erstes den Knoten verstehen: als ein Symbol der Gebundenheit als auch der Verbundenheit. Das Labyrinth verbindet Struktur und Bewegung. Das Muster ist konkret, aber der Weg ist abstrakt. Heidegger - in einem englischen Artikel "What is a thing?" - kommt der Sache schon ziemlich nahe mit seiner Definition: "a circular event happening through which what lies in the circle becomes apparent."

(Gespräch mit Christian Redemann im März 2002 in Vernawahlshausen)

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