projekt: Generationenvertrag / Die Vermittlungsbörse
Die Vermittlungsbörse
Sie
haben mit anderen zusammen ein Vermittlungsbörse für Nachbarschaftshilfe
initiiert. Wie lange gibt es die schon?
Sie wurde offiziell am 1. Februar in Betrieb genommen. Die gibt es
jetzt einen Monat, man kann also auch noch nicht sagen, wie es sich
entwickelt. So nach einem Verteljahr kann man da vielleicht mehr sagen,
ob es funktioniert oder nicht. Wir haben von Anfang an auch Anrufe
bekommen, aber bisher sind es ausschließlich Angebote und kein Bedarf.
Das muss sich erst herumsprechen. Es waren Schüler, die sofort angerufen
haben und zum Beispiel angeboten haben Mathe-Unterricht zu geben.
Weitere Angebote waren: Ich kaufe gerne ein, ich backe einen Kuchen
für eine Party und ähnliches. Diese Angebote werden gesammelt. Ein
Umschüler vom BSZ, der in der Branche tätig ist, hat ein Programm
entwickelt mit dem diese Angebote verarbeitet werden. Der sitzt auch
zwei Stunden die Woche ehrenamtlich am Telefon. Unterstützt wird er
von einer Frau, die ebenfalls ehrenamtlich mithilft. Die beiden bekommen
dafür bisher nur eine Aufwandsentschädigung. Später soll das so laufen,
dass die AWO, die hier als Träger auftritt, wenn sie neue Räume hat
und das Ganze kompakt unterbringen kann, soll dann im Rahmen von Arbeit
statt Sozialhilfe, eine Frau aus unserem AIDA- Programm am Computer
angelernt werden, um die anfallende Arbeit zu erledigen. Da kommt
auch noch mehr die soziale Komponente dazu. Es geht dabei einfach
darum, dass Frauen mit einem nützlichen und sozialen Hintergrund am
Computer eingelernt werden sollen. Dann können die Frauen im Rahmen
der Sozialprogramme nicht nur Nähen, wie sie es jetzt machen, sondern
dann kann eben eine auch den Computer bedienen. Das ist ein zusätzlicher
Aspekt.
Wie war denn vorher die Situation? Wie kam es denn dazu die Vermittlungsbörse
ins Leben zu rufen?
Das
Ganze hat sich ergeben aus unserem Stadt-Marketing-Programm, das wir
seit etwa vier Jahren durchführen. Das ging dann über in den Agenda
21-Prozess. Das sind im Prinzip die gleichen Themen und die gleichen
Arbeitskreise. Umwelt und Natur, Kultur, Sport, Arbeit und Soziales,
Jugend und Familie.Wir hatten Umstellungsprobleme, denn Agenda 21
ist ja schwer vermittelbar. Aber dadurch, dass diese Arbeitskreise
schon existierten, ging es einigermaßen. Und gerade mit solchen Prozessen
kann man verdeutlichen, was Agenda 21 überhaupt bedeutet. Im Stadtmarketing
ging es eigentlich damit los in Form eines Brainstormings einfach
einmal alles aufzuschreiben, was da so reinpassen könnte. Aus diesem
riesigen Katalog sind dann realisierbare Projekte wieder zusammengefasst
worden. Dann wurde gefragt, was kann kostengünstig mit relativ geringem
Aufwand realisiert werden? Jeder Arbeitskreis hat sich dann ein Projekt
ausgesucht, das mit möglichst günstigem Kostenrahmen relativ rasch
zu realisieren ist. Die Kommunen stehen im Moment finanziell nicht
so gut da. Aber es sollte einfach einmal gezeigt werden, was unter
dem Ganzen zu verstehen ist und was wir in den ganzen Jahren eigentlich
gearbeitet haben. Wir haben andere Ansätze auch noch im Hintergrund,
aber die sind eben meistens mit hohen Kosten verbunden und dadurch
nur eingeschränkt realisierbar.
Was soll die Leute reizen, die sich bei der Vermittlungsbörse melden?
Gibt es da eine Aufwandsentschädigung, oder eine Bezahlung?
Die Aufwandsentschädigung gibt es nur für die beiden Leute, die jetzt
das Telefon bedienen, was später dann über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
abgedeckt werden soll. Das, was wir eigentlich tun, ist nur die Vermittlung.
Wir sehen: hier braucht eine Frau Hilfe beim Einkaufen, weil sie gerade
aus dem Krankenhaus gekommen ist und noch nicht flexibel ist, oder
hier braucht jemand eine Person, die für 14 Tage das Schneeschippen
macht, und fragen: wo ist ein Schüler, der das übernimmt. Dann geben
wir nur die Telefonnummern bekannt. Dann schließen sich die Leute
kurz. Wir sind nur die Vermittler. Wir legen auch nicht fest, ob eine
Entschädigung gezahlt wird oder nicht. Das soll ganz normal im Rahmen
der Nachbarschaftshilfe funktionieren. Nur, wir gehen eben davon aus,
dass wenn jemand in Waldkraiburg-Süd wohnt und am Eisstadion braucht
jemand Hilfe, dann kennen sich die nicht, die wissen einfach nichts
voneinander. Dieses Zusammenführen ist es, was wir mit unserer Vermittlungsbörse
bezwecken wollen. Wir mischen uns ganz bewusst nicht in Bezahlung
ein. Das ist so wie mit Nachhilfeunterricht unter Schülern, das machen
die untereinander aus. Oder wenn ein Schüler der Oma einkauft, wieviel
die ihm dann gibt, das ist ihre Sache. Wir machen auch keine Preisvorschläge
und wir übernehmen auch keine Haftung.
Dabei
entsteht natürlich auch eine Art "subkulturelle" Wirtschaftsform wo
einiges verhandelt und geleistet wird, was aus dem regulären Geschäftsteil
rausfällt. Ja, deswegen haben wir auch ausdrücklich gesagt, dass wir
an alles, was gewerblich abgedeckt wird, auf keinen Fall drangehen.
Das ist wirklich alles nur im Rahmen der Nachbarschaftshilfe. Wenn
jemand einem anderen einen Nagel in die Wand schlägt um daran ein
Bild aufzuhängen, dann ist das in Ordnung, aber zum Beispiel einen
Teppichboden zu verlegen, kommt nicht in Frage. Das ist von vornherein
klar ausgegrenzt. Zuerst stand auch einmal das Beispiel Reifenwechseln
mit auf dem Zettel, aber da gab es dann versicherungsrechtliche Probleme.
Diese Dinge sind alle außen vor. Die, die dann am Telefon sitzen,
wissen ganz genau Bescheid und lehnen solche Angebote oder Nachfragen
dann auch ab. Der offizielle Ausdruck für die Tätigkeiten, die wir
vermitteln, ist Hand- und Spanndienste. Den Ausdruck kennt kein Mensch,
den wusste unser Stadtkämmerer, ich kannte den auch nicht. Dieser
Ausdruck meint also ausschließlich Tätigkeiten, die gewerblichen Betrieben
nicht in die Quere kommen.
Dann wird der Erfolg der Vermittlungsbörse ganz wesentlich von der
Werbung für die Börse abhängen. Richtig. Wir haben jetzt erst einmal
5000 dieser Zettel drucken lassen und verteilen die über unsere Arbeitskreis-Mitglieder
als Multiplikatoren. Da ist ja jeder in einem anderen Verein, in anderen
Vereinigungen. Ich habe die Zettel zum Beispiel in den Altenheimen
verteilt. Da sehe ich einen großen Bedarf. Die Schwestern kommen nicht
dazu, und die alten Leute lassen sich gerne einmal für 10 DM im Rollstuhl
spazieren fahren. Das kann ein Schüler durchaus machen, das ist überhaupt
kein Problem. Um das Ganze bekannt zu machen, habe ich es auch im
Gymnasium verteilt. Die Realschule hat eine Kollegin von mir übernommen.
Das ist jetzt noch unser Problem und die Anfangsphase, bis das Ganze
bekannt wird, ist sicher noch eine schwierige Phase.
Wie schätzen sie denn die Situation in Waldkraiburg ein? Gibt es diese
Form von Hilfsbereitschaft zwischen den Generationen?
Die ist da, und das war für uns der Knackpunkt. Das habe ich in einem
Gespräch mit Schülern und mit Freundinnen meiner Töchter festgestellt.
Die Schüler verdienen sich ganz gerne ein bisschen Geld dazu, und
die Hilfsbereitschaft prinzipiell ist da. Junge Frauen, die mit ihren
Kindern zu Hause sind, die nehmen gerne mal noch für zwei Stunden
ein anderes Kind dazu. Dann kann die Frau mal in Ruhe zum Einkaufen
gehen oder einen Arztbesuch oder sonst was wahrnehmen. Nur, es fehlt
einfach auch das Wissen umeinander. Uns geht es eigentlich darum einen
Zustand herzustellen wie man ihn heute noch auf dem Dorf hat, wo bei
der Kramerin alle Informationen ankommen und dann weiß die, die Frau
X hat die Grippe und dann schaut man eben auch mal vorbei, oder holt
ihr ein Medikament.
Gibt es denn Ihrer Ansicht nach über so ein Projekt auch die Möglichkeit
die verschiedenen Gruppierungen, wie zum Beispiel "Alteingesessene",
Spätaussiedler, Albaner und Türken in Waldkraiburg näher zueinander
zu bringen?
Das, glaube ich, wäre zu hoch angesetzt. Da muss man direkt in die
Vereine und Vereinigungen reingehen und das Ganze projektbezogen machen.
Ich bin zum Beispiel in einem Arbeitskreis, der sich mit der Frage
beschäftigt wie Jugendarbeit in Zukunft vor Ort aussehen soll. Da
haben wir mit am Tisch die Vorsitzenden von türkischen Gruppierungen,
von Schulen sind die Direktoren da, ... also je nach dem wie das Projekt
läuft, was es ist und zu welchem Thema. Die ganzen Integrationsproblematiken
müssen speziell behandelt werden, das läuft über einen anonymen Telefonservice
meiner Meinung nach nicht.
Sie haben bisher hauptsächlich von Schülern gesprochen, die für ältere
Leute etwas tun können. Wie sieht es umgekehrt aus?
Das ist der Grund, weswegen wir keine Tauschbörse gemacht haben. Wir
dachten, jemand der aus dem Krankenhaus kommt und den Fuß gebrochen
hat, der braucht die Hilfe nur temporär und zum anderen ist der nicht
unbedingt ein Genie in Englisch und könnte Englischunterricht geben.
Wir haben hier sehr viele alte Leute, die Alterspyramide in Waldkraiburg
geht oben ziemlich extrem auseinander. Die Leute sind zum Teil sehr
alt. Das ging ja so weit, dass diese offiziellen Besuche des Bürgermeisters
zum Gratulieren um 5 Jahre nach oben gerückt wurden, weil die mit
den Terminen nicht nachgekommen sind. Früher sind sie ab 80 Jahren
hingegangen, heute gehen sie ab 85 hin. Das heißt der Bedarf ist da,
aber gerade dieses Alter kann kaum mehr etwas einbringen. Deswegen
habe ich gesagt, so eine Tauschbörse, wie sie in den anderen Landkreisen
zum Teil existiert, die möchte ich nicht. Denn dann sind die alten
Leute darauf angewiesen, dass sie diese Tauschpunkte irgendwann erlassen
bekommen, weil sie nichts zum Tauschen haben. Dadurch wird bei den
alten Leuten eigentlich nur ein schlechtes Gewissen erzeugt. Und dann
sagte ich, machen wir es doch gleich ehrlicherweise so, dass der Schüler,
der einkauft, oder die Mutter, die das Kind zusätzlich nimmt, sich
mit den Leuten selber einigen, was dann ein Taschengeld oder ein Tausch
sein kann. Im Vorfeld unserer Vermittlungsbörse habe ich mit Leuten
gesprochen, die solche Tauschbörsen organisieren. Die sagten auch,
es sei immer wieder das Problem mit den alten Leuten, dass sie nichts
mehr zum Tausch einbringen können. Dann finden diese Treffen statt
und bei diesen Treffen werden den Alten ihre Tauschpunkte-Schulden
erlassen. In meinen Augen ist das dann so eine Art Gnadenakt, und
das möchte ich den Leuten nicht zumuten