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projekt: Generationenvertrag / Der Parlamentarier
Der Parlamentarier

Es war im Arbeitskreis der Stadt "Jugend Senioren Familie", da kam die Bewegung auf, dass man für die Jugend ein eigenes Sprachorgen entwickelt. Dabei ist die Idee des Jugendparlamentes (JUPA) entstanden. Man ist dann nach Burghausen gefahren, wo schon ein JUPA bestand - inzwischen sind es ja schon so viele in Bayern, dass sich schon ein Dachverband gebildet hat, dem wir allerdings noch nicht zugehören, weil an dem Tag, an dem sich die ganzen JUPAs getroffen haben, zur Wahl des Dachverbandes, hatten wir unsere eigenen Wahlen.

Jedenfalls geht es darum dass die Jugend ein Sprachorgan im Stadtrat - beim Bürgermeister - hat, weil es eben ziemlich viele Jugendliche gibt in Waldkraiburg - auch verschiedener "Rassen". Deshalb ist es ziemlich schwierig an die ganzen Schichten heranzukommen, weil man eben schauen muss, wie kommt man an die Türken ran, wie an die Russen, was macht man mit den Deutschen und was mit den Albanern. Es ist also ziemlich schwierig mit dem Jugendparlament ein Sprachrohr für die ganze Jugend in Waldkraiburg zu sein. Allerdings versuchen wir's und ich hoffe wir schaffen es. ...

Wir setzen uns so zusammen: Wir halten Wahlen ab. - wobei das erste JUPA setzte sich rein aus Leuten zusammen, die einfach Interesse hatten, so was zu machen. Das waren ca. 25 Leute. Es sind zwar noch viele abgewandert, aber es blieb ein harter Kern und die haben dann vor drei Jahren die ersten Wahlen durchgeführt. Vor unseren Wahlen haben wir groß Werbung an allen Schulen gemacht, viele Durchsagen, Plakate ausgehängt und wir sind durch die Klassen gegangen. Vor drei Jahren bei der ersten offiziellen Wahl war es so: wir waren laut der Verfassung, die von dem Kern des ersten JUPA gemacht wurde, auf 33 Mitglieder begrenzt. Wir hatten dann die Wahl, aber es waren nur 30 Leute da. Dadurch war das eben so, dass der, der die Hand hebt, automatisch im JUPA vertreten war. Nun - bei den Wahlen im letzten Jahr waren dann etwa 70 Leute gekommen und wir konnten eine richtige Wahl durchführen. Das war für uns zunächst mal überraschend. ... Ehrlich gesagt hatten wir da auch befürchtet nicht mehr gewählt zu werden. ...

Ergebnisse

Wir haben die letzten drei Jahre im Schwimmbad ein Beach-Volleyball-Feld errichten lassen und wir haben dort auch das Babybecken überdachen lassen, weil die Kleinkinder nur in der Sonne liegen konnten. Naja, wir haben vielleicht noch nicht allzu viel gemacht, weil eben auch die Anträge fehlen. Jetzt, vom neuen JUPA kamen Vorschläge, man solle doch so eine Art Kummerkasten entwickeln. Wir haben vorne beim Rathaus so eine Säule stehen, da ist ein Briefkasten drin; der ist eigentlich für die Stadt, aber die benutzt den nicht. Wir haben uns überlegt, dass wir den eigentlich nutzen könnten, dass die Jugendlichen dort ihre Wünsche und Anträge einschmeißen können und wir versuchen die, so gut es geht, umzusetzen.

Leute aus anderen Ländern

Das sind verschiedene Welten. Der Eine will mit dem Anderen nichts zu tun haben. Deswegen ist es auch gut, dass die 2. Stellvertreterin im JUPA eine Russlanddeutsche ist. Sie hat einen hohen Stellenwert bei allen Russlanddeutschen und kann hier als Kontaktperson fungieren. Aber wir müssen das ausbauen.

Multinational ?

Man muss, glaube ich, zunächst mal noch weiter unterscheiden: Mitglieder im JUPA vom Gymnasium und Mitglieder vom Nicht-Gymnasium. Da steht schon der Vorwurf im Raum, die Gymnasiasten hätten sich super in den Vorstand "integriert", weil eben alle, bis auf eine Person, im Vorstand, vom Gymnasium kommen. Das ist die 2. Vorsitzende, die Auszubildende ist und Russlanddeutsche.

Ja, und dann muss man unterscheiden zwischen Deutschen und Ausländern. Ein Großteil des JUPA sind Deutsche - wir sind ja auch noch in einer deutschen Stadt - aber wir haben zwei oder drei Türken, drei Russen, glaube ich. Wir haben also schon zwei oder drei Ausländer-Bevölkerungsschichten abgedeckt, worüber ich persönlich sehr froh bin, weil an die eben sehr schwer ran zu kommen ist. Die verschließen sich. Die kann man einladen und alles, aber die kommen nicht her. Man braucht sie aber. Also wenn ich jetzt Türke wäre und treffe in der Stadt meine Freunde und dann sage ich "Es ist jetzt sechs Uhr, ich gehe jetzt zum JUPA" - wenn die dann sagen "Das ist ein Spießerverein, da hocken eh nur Arschlöcher drin, die nur schleimen wollen" - wenn man da jemanden hat, der sagt " Nix - das ist nicht so", dann kommt das viel besser an.

"Zeitzeugen-Projekt"

Die Idee kam nicht direkt von uns. Aber die Frage war schon da, was wir eigentlich über Waldkraiburg noch in Erfahrung bringen könnten. Darüberhinaus war das wohl auch so eine versteckte Sache von der Susi (Susanne Engelmann, Stadträtin). Sie hat das so ein wenig eingefädelt und so gesagt: "Ja, wenn das so ist, da haben wir uns schon mal überlegt, ..." (lacht) Und so ist das dann entstanden.

Erfahrungen

Ich habe wirklich viel erfahren, was ich nicht wusste. Ich hab viel gelernt. Gut, mein Vater ist auch ein Ur-Waldkraiburger, der ist 1948 geboren, hat also seit es die Stadt gibt hier gewohnt. Der hat mir natürlich auch schon einiges erzählt. ... Aber durch die ganzen Bilder, die die anderen Leute uns gezeigt haben und durch ihre lebhaften Geschichten...

Uns hat zum Beispiel eine Frau erzählt, dass sie nach Aschau kam und Aschau war irgendwie Militärgebiet. Sie kam eben dort hin und dann sind alle Leute aus der Stadt gelaufen und haben geschrien "Hilfe - Jetzt kommen die Kommunisten!". Die eben aus - ... ich weiss nicht - eben aus Böhmen, oder Sudetendeutschland war ... also eben der östlichere Teil. Dann war sie in einer Familie untergebracht und da wollten sie am Sonntag in die Kirche gehen. da hat sie gesagt "Ich geh nicht in die Kirche", weil ein Bischof irgendwann mal Waffen geheiligt hat und damit wurde auf Frauen und Kinder geschossen. Deswegen ist sie dann nicht in die Kirche gegangen. Eine Woche darauf wollte sie dann Milch haben, oder Brot - und dann haben die Leute zu ihr gesagt "Du gehst nicht in die Kirche, also kriegst du auch kein Brot". Also, es ist einiges herausgekommen, was ich nie gedacht hätte, und ich bin sehr zufrieden wie das Projekt gelaufen ist.

Veränderter Blick auf die Stadt

Ich muss sagen, ich bin jetzt nicht sooo beeindruckt gewesen, dass ich dann durch die Stadt gelaufen wäre und gedacht hätte "Booh, was ist denn das auf einmal Tolles!". Aber man denkt schon mehr nach über die Stadt. Wenn man sich mal das ursprüngliche Stadtgebiet anschaut und dann das jetzige und sich dann ansieht wie andere Städte, z.B. Mühldorf sich die letzten 500 Jahre vergrößert hat, verglichen mit den letzten 50 Jahren Waldkraiburg, um zu sehen, dass Waldkraiburg sich mindestens verdoppelt hat - dann sieht man, das ist schon eine Leistung. ... Oder zum Beispiel unser Stadtpark, dass das eigentlich eine Munitionsfabrik war, wo sie nur Erde darauf gekippt haben, nachdem sie es gesprengt haben ... Lauter so Sachen, die ich zwar früher auch schon gewusst habe, die aber durch die lebhaften Geschichten von den älteren Leuten, mir erst so richtig klar wurden. So gesehen hat es schon eine Veränderung meiner Einstellung zur Stadt gebracht.

Lebensgefühl

Ich muss sagen, ich bin eigentlich gerne in Waldkraiburg. Ich lebe auch gerne hier. Allerdings bin ich auch eher ein Mensch, den es in die Großstadt zieht. Aber ich werde das hier immer als meine Heimat sehen, weil ich diese Stadt eben aus dem Effeff kenne, und zwar jedes einzelne Stück der Stadt. Wobei ich natürlich bei dem Zeitzeugen-Projekt neue Dinge gelernt habe. Naja, aber leben hier, als Jugendlicher ... ich weiß nicht, wie es jetzt ist. Ich bin ja jetzt größer, ich meine auch an Körpergröße und hab jetzt nicht mehr so die Probleme, die man als kleiner Junge hatte. Ich habe das Gefühl, dass es jetzt nicht mehr so schlimm ist. Aber wie ich hier aufgewachsen bin, von der Kriminalität her, bzw. von den Pöbeleien her, denen man auf der Straße oder der Skaterbahn ausgesetzt war ...: da fährt man einfach nur vorbei, schaut hin und dann schreit einer her: "Was schaust du so blöd? Hast a Problem oder was!?" Lauter so Sachen. Oder Schlägereien, die man ab und zu mitgekriegt hat, nach der Schule. Mit so Sachen bin ich halt auch aufgewachsen und ich denke, dass mich das schon auch geprägt hat (Stichwort:Krawallburg). Auch die Konflikte zwischen Ausländern und Deutschen ...

Die komische Situation

... in einer Stadt, die sich aus Vertriebenen ursprünglich begründet ... Ja, so gesehen sind das eigentlich alles Ausländer, auf eine bestimmte Art. Also wenn man jetzt sagt, es gibt Schlägereien, dann heißt das nicht, dass sich jetzt nur Türken mit Deutschen schlagen. Es schlagen sich Deutsche mit Deutschen, Ausländer mit Ausländern und Ausländer mit Deutschen. Also man kann da nicht sagen "die Türken sind die Schläger". Ich kann das ja selbst nicht mal unterscheiden ob einer Türke ist oder Albaner oder Kroate. Es gibt natürlich schon so bestimmte Ecken in Waldkraiburg, die den Namen "Little Moskau" tragen oder "Klein-Istanbul", aber ich weiß nicht ob das allgemein bekannt ist. Unter uns Jugendlichen ist es jedenfalls schon bekannt. Vielleicht ist es auch einfach nur so eine Spaßgeschichte unter Jugendlichen, aber allein, dass man schon mal so weit denkt, ...

Und sonst?

Also was die Jugendlichen hier abends so machen? - Nichts - außer vielleicht in die Kneipe gehen. Sonst haben wir jetzt seit einem Jahr noch ein Riesen- Kino. Da sind 4 Lokale drin, Restaurant, Caf..., eine Pizzeria und ein Pub, acht Kinosäle - ich weiß das so genau, weil ich da arbeite. Das ist schon ein Anlaufpunkt, weil da auch ab und zu was veranstaltet wird - Karaoke, oder so - da gehen die Leute hin. - Aber Disco - Die nächste gescheite ist in Altötting und das sind auch schon 40 Minuten bis dahin. Oder dann gleich nach München - Das sind dann die leider wenigen Möglichkeiten. Dann, aus meiner Erfahrung, das kann sich auch geändert haben, das Jugendzentrum, da sind fast zu hundert Prozent nur Ausländer. Das Jugendzentrum ist zwar nicht mehr so schlimm wie es früher einmal war ... Wenn du da nur vorbeigegangen bist, bist du fast reingezogen worden und zusammengeschlagen worden. So war es mal, da können mir die Polizisten erzählen was sie wollen - ich weiß das, weil ich es selber mitgekriegt habe, weil es auch mein Schulweg war. Wenn ich heimgegangen bin hab ich auch einen Umweg gemacht deswegen. Das Jugendzentrum hat bei uns in Waldkraiburg wirklich einen beschissenen Ruf, dass da nur Ausländer sind, dass da nur geschlägert wird ... aber das ist heute gar nicht mehr so schlimm. Der Ruf bleibt halt haften, selbst wenn sie das Haus golden anmalen.

Ansonsten haben wir noch drei Fußballvereine, wovon zwei türkische Vereine sind. Der eine heißt "Türk Spor Waldkraiburg", und dann gibts noch den VfL. jedenfalls behaupte ich mal, spielen bestimmt 50-60% der Jugendlichen Fußball, oder machen jedenfalls Sport im Verein. Was aber die Jugend hier so am Nachmittag macht? Keine Ahnung, ich seh da kaum jemanden. Wie mir das dann vorkommt, wie ich das dann empfinde ist, dass wir in Waldkraiburg einfach einen riesengroßen Anteil an Rentnern haben.

Vertriebenenverbände?

Von denen höre ich nur bei Umzügen oder Faschingsbällen. Sonst höre ich von denen nie etwas, wie es bei denen ist kann ich nicht sagen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es funktioniert, weil die ja vielleicht noch auf eine traditionellere Art erzogen werden, also auf ihre ursprüngliche Heimat bezogen, Brauchtums- und Traditionspflege.

Kirchen

Kirchen funktionieren, glaube ich, ganz gut hier. da wurde ich auch schon immer angeschrieben, als ich noch nicht im JUPA war, ob ich bei der Kirche was mitmachen will, ob ich mal zu den Treffen kommen will. Ich habe in Erinnerung, dass es da ganz gut läuft. ...

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