projekt: Generationenvertrag / Erben, aber wie?
Erben, aber wie?
Was
haben deine Eltern gemacht, wo kommen die her?
Mein Vater war Kaminkehrer, zuerst in Berchtesgarden, später dann
in Kraiburg und Waldkraiburg. Mein Großvater war auch Kaminkehrer
und mindestens zwei Generationen vorher waren ebenso Kaminkehrer.
Und alle haben sie jeweils Franz Hecht geheißen, so wie ich. Ich komme
also ganz aus der Tradition einer Handwerkerfamilie. Als mein Vater
hier her kam war er fasziniert von dem handwerklichen Können, das
er hier vorfand, und von der Kunstfertigkeit mit der die Leute ihre
Tätigkeiten ausführten. Er hat das immer von der handwerklich-technischen
Seite aus gesehen. In jedem Betrieb, in den er kam, hat er sich neugierig
umgeschaut, wie man was macht. Er war technisch sehr interessiert.
Er kam ja aus den Bergen bei Berchtesgarden. Dort wurde alles noch
mit der Hand gemacht und hier gab es jetzt auf einmal Industrie. Neben
seinem Beruf war mein Vater ein leidenschaftlicher Sammler. Ich verkaufe
heute noch Sachen, die er gesammelt hat. Ob ich darüber froh bin oder
nicht, weiß ich nicht genau. Er hing sehr an Sachen und konnte nichts
wegwerfen. Von der Industriealisierung war er außerordentlich begeistert.
Immer wenn er in einem Betrieb einen alten Motor gesehen hat, der
nicht mehr gebraucht wurde, hat er den mitgenommen. Und ich sitze
jetzt auf hunderten Kilo von Motoren. Mittlerweile sind es etwas weniger
geworden. Er dachte immer, er könnte die Motoren irgendwann vielleicht
einmal gebrauchen. Und ich verkaufe jetzt die Motoren, weil ich sie
auch nicht einfach wegschmeisen kann.
Wo hast du die Motoren die ganze Zeit über eingelagert?
Die
standen die ganze Zeit im Keller herum. Seit 2 Jahren aber fahre ich
jetzt auf Flohmärkte und verkaufe dort die Motoren. Das ist natürlich
völlig irrational, denn wenn ich die Zeit, die ich dafür aufwende,
nutzen würde um in einem Beruf zu arbeiten, würde sich das natürlich
viel eher lohnen. Aber ich bin eben glücklicher, wenn ich auf diese
Art damit umgehe. Ich lebe von der Substanz, die ich von meinem Vater
geerbt habe recht sparsam und renoviere das Haus, in dem ich aufgewachsen
bin. Das Handwerkliche habe ich von meinem Vater übernommen. Ich habe
immer schon das Bedürfnis gehabt, alles selbst machen zu können. Im
Moment lebe ich mit meiner Mutter zusammen in dem Haus, das mein Vater
zusammen mit seinen Brüdern in Kraiburg gebaut hat. Ich bin mir selbst
nicht sicher, ob das richtig ist, wie ich es zur Zeit mache. Das hat
Vor- und Nachteile. Mit meinem Cousin, der auch aus dieser Kaminkehrerdynastie
ist, musste ich die letzten eineinhalb Jahre notgedrungen zusammenarbeiten,
weil das Großelternhaus in Berchtesgarden gerade verkauft wird. Das
ist eine alte Villa von 1878. Und da die Mentalität in diesem Clan
immer so war: zusammen zu halten, bloß nichts verkaufen, hat dieses
Haus die letzten 10 Jahre leer gestanden. Das Haus wurde nicht mehr
genutzt, aber keiner aus der alten Generation wollte es verkaufen,
denn seine Heimat verkauft man nicht. Das war der Leitspruch. Erst
als vor zwei Jahren eingebrochen wurde, hat sich der letzte der Brüder
meines Vaters auf anraten seines Sohnes dazu bereit erklärt, das Haus
doch zu verkaufen. Aber mein Cousin, der den Verkauf mit mir übernommen
hat , ist dynamischer drauf als ich, der ist mehr Geschäftsmann und
viel rationaler als ich. Der sagt: "Raus mit dem alten Gelumpp", während
ich meine, das könnte man vielleicht noch brauchen. Das ist ja viel
zu schade, um es weg zu werfen.
Wirst du einige der Motoren aufheben?
Keinen,
die gebe ich alle weg. Das ist ja oft so, dass etwas, das vor 50 oder
100 Jahren als ganz normaler Gebrauchsgegenstand angesehen wurde,
später anders behandelt wird. Die Zukunft entscheidet erst ob etwas
aufhebenswert ist oder nicht. Stell dir zum Beispiel einen Dreschflegel
oder eine riesige Wiegesäge vor, etwas, das vor hundert Jahren ein
ganz normaler Gebrauchsgegenstand war wie für uns heute ein Schraubenschlüssel.
Diese Dinge waren vor 20 Jahren als Raumdekoration unheimlich beliebt,
jetzt aber wieder nicht mehr. Die Entscheidung was aufhebenswert ist
und was nicht, ist eine Bewertungsfrage für diejenigen, die danach
kommen. Bei mir war es auch ein langer Prozess, bis ich mich auch
vom Gefühl her bereit erklären konnte, das Haus zu verkaufen. Jetzt
geht es mir so, dass ich, selbst wenn ich das Geld hätte, das Haus
wahrscheinlich nicht erhalten würde. Für mich ist das die Entscheidung
zwischen einem materiellen und einem ideellen Ansatz. Wenn ich sage,
ich verkaufe das Haus nur an jemanden der das Haus erhält, dann wird
es vielleicht nicht verkauft, oder vielleicht erst in fünf Jahren.
In dem Fall dränge ich aber meine Meinung meinem Cousin auf, der das
Haus möglichst schnell verkaufen will. Das hat dann auch etwas mit
Moral zu tun, und ist eigentlich ein typischer Konflikt der Erbengeneration.
Gibt es in deinem Umfeld noch weitere Leute, die es genauso machen
wie du?
Ganz wenige. Selbst die, die so leben könnten, machen das nicht, weil
es gesellschaftlich nicht anerkannt ist. Ganz konkret verdichtet sich
so etwas bei Klassentreffen. Ich habe das selbst beim 20 jährigen
Abiturtreffen erlebt. Da hat jeder kurz vorgestellt, was er macht.
Das war ganz interessant. Was mir dabei auffiel war, dass alle Männer
einem Beruf nachgehen, während sich viele Frauen dafür fast entschuldigt
haben, dass sie "nur" Hausfrau sind. Auch unangenehm war den Frauen,
wenn noch keine Kinder da sind. Den Männern war unangenehm, wenn sie
noch nicht verheiratet waren. Da haben sie sich ein bißchen geschämt.
Ich persönlich habe mir von vornherein vorgenommen, dass ich mich
nicht schämen muss. Vor mir war einer an der Reihe, der Karriere gemacht
hat. Er ist im Landkreis Rechtsanwalt. Der sagte, er hätte überhaupt
keine Zeit mehr, er sei ständig im Stress. Dann war ich der Nächste
und sagte: bei mir ist es genau umgekehrt, ich mache nichts. Da haben
sie mich natürlich gefragt, ob es mir nicht manchmal langweilig wird.
Ganz im Gegenteil, habe ich gesagt, ich habe manchmal ein richtig
schlechtes Gewissen, wenn ich mir mal einen Film durchgehend anschaue.
Ich habe so viel zu tun, da wird mir nicht langweilig. Im Gegenteil,
wenn ich herkömmlich arbeiten würde und tagtäglich im gleichen Trott
wäre, dann würde mir wahrscheinlich bald langweilig werden. Wenn es
für die anderen Leute passt, tagtäglich das Gleiche zu tun, dann habe
ich damit überhaupt kein Problem. Ich muss mir auch dauernd überlegen,
ob ich es richtig mache. Die Situation, in der ich mich zwischen verschiedenen
Lebensmodellen entscheiden kann ist nicht unbedingt einfach. Der Preis
der Freiheit ist dann eben auch die Unsicherheit.