Die
Umstände, die zu meiner Festnahme in Tokyo im August 1996 führten,
bedürfen einiger einleitender Erläuterungen. Ich kam an
einem Samstag gegen halb neun morgens mit einer Maschine der British
Airways am Flughafen Narita an. Vor der Paßkontrolle des Immigration-Office
stand ein Schild: "Enjoy your stay, but follow the rules". Damit hatte
ich kein Problem, aber mein Koffer, in dem sich alle Unterlagen über
mein Hotel und die Abfahrtszeiten der Flughafenzüge befanden,
war anscheinend in London zurückgeblieben. Nachdem ich dies reklamiert
hatte, blieb mir nichts anderes übrig als die 3000 Yen für
den vollkommen überteuerten Narita-Express zu bezahlen und mich
auf den Weg nach Tokyo zu machen. Am Hauptbahnhof Tokyo begab ich
mich zum ersten Mal unter freien Himmel. Die Luft war drückend
schwülwarm und von jenem milchigen Grau, das die Abluft von Millionen
Klimaanlagen erzeugen, die dort an jedem Gebäude kleben. Zu Fuß
lief ich in Richtung Ginza, wo ich im zentralen Tourist-Office, die
Adresse meines Hotels nachschlagen wollte. Schon in Frankfurt hatte
ich eine billige Unterkunft der Japanese-Inn-Group gebucht, die sich
dafür außerhalb der Yamanote-Line, drei Stationen von Shinjuku
entfernt, in Shin-Nakano befand. Ich fand in einer Seitenstraße
einen gedrängten Betonwürfel vor, der sich von einem Leuchtschild
als Shin-Nakano-Lodge ausgab. Der Hotelier saß in einer winzigen
Koje, die ringsherum von Pappschildern umgeben war, die alle möglichen
Dos und Donts verkündeten: Schuhe ausziehen! Keine Getränke
auf den Zimmern, die nicht im Hotel erworben wurden! Keine Besucher
auf den Zimmern! Bettruhe ab 23 Uhr! Warmes Wasser nur von sieben
bis neun Uhr! Keine laute Musik! Natürlich könne ich mein
Zimmer noch nicht beziehen, erklärte mir der Hotelier, das ginge
erst ab 16 Uhr. Nein, ich könne an British Airways kein Fax wegen
meines Koffers schicken, wenn ich nicht 200 Yen zahle, und das von
mir gewünschte japanische Zimmer koste 2000 Yen extra. Diskussionen
sind in Japan zwecklos, wußte ich, man sagt vor allem Ja und
Danke. Also fügte ich mich in mein Schicksal, ging um die Ecke
eine Nudelsuppe essen und fuhr wieder nach Shinjuku zurück, wo
ich ein Handtuch und Badesandalen erwarb. So konnte ich wenigstens
ein öffentliches Bad (Sento) besuchen. Nach 14 Stunden Flug und
einem halben Tag in der Tokyoter Hitze war ich froh, mich in den heissen
Becken entspannen zu können. Als ich endlich mein Zimmer, eine
niedrige rechteckige Schachtel mit einem Fenster auf einen Lichtschacht,
beziehen konnte, fiel ich sofort in einen tiefen Schlaf, aus dem mich
erst gegen 21:00 Uhr laute Trommelmusik weckte. Ein Nachbarschaftsumzug,
erklärte mir der Hotelier, während gerade ein Taxifahrer
meinen nachgeschickten Koffer hineinschleppte. An diesem Abend wollte
ich das Tokyoter Nachtleben erkunden, wenigstens einige der angesagten
Clubs und Bars besuchen, über die ich mich über das Internet
schon grob informiert hatte. Da das Hotel, nach einem der vielen Zettel,
um Mitternacht schließen und nicht mehr vor sieben Uhr aufmachen
würde, entschloß ich mich die ganze Nacht durchzumachen.
Eingedenk des verlorengegangenen Koffers steckte ich nur das Allernötigste
ein, liess alles von Wert, auch meinen Paß auf meinem Zimmer.
Vor dem Hotel rief ich von einem der grünen Telefone meinen Bekannten
Krystian an und verabredete mich, ihn in seiner Wohnung zu treffen.
Krystian hatte ich im Jahr zuvor auf einer privaten Veranstaltung
in Offenbach kennengelernt, wo er auf einer Deutschlandreise Station
gemacht hatte. Sein Absicht war, eine Rolle japanischer Underground-Filme
Kinos und Filmverleihern in Deutschland anzubieten. Bei dieser Gelegenheit
hatten wir e-mail-Adressen ausgetauscht. Auf seiner Visitenkarte stand
unterhalb seines Namens: "Zuckshow, Audio Visuals". Krystian lebte
zu diesem Zeitpunkt in Daikanyamacho, einem relativ noblen Stadtteil
von Ebisu, das eine Station südlich von Shibuya liegt. Die Auffindung
einer Adresse bringt gerade in Tokyo besondere Schwierigkeiten mit
sich. Die Häuser werden oftmals nach dem Entstehungsdatum numeriert,
und Strassennamen, sofern überhaupt lesbar, tragen nur die grösseren
Hauptstrassen. Trotz eines einigermassen genauen Stadtplans geriet
ich in dem Gewirr von Häusern, das sich nördlich der Ebisu
Station erstreckt schnell in Verwirrung. Um meinen Bekannten nicht
unnötig warten zu lassen, rief ich schließlich, wie alle
es machen, von einer Telefonzelle aus an, und liess mich an der Daikanyamacho
Station abholen. Mit zwei Berliner Freunden von ihm gingen wir dann
Essen, in eines dieser schicken angesagten Lokale, wo ebenso angesagte
Grafik-Designer und Fotomodelle, alle unter 20, sich von demonstrativ
gelangweilten Kellnern, Teller von Karry-Raisu (Curry-Reis) zu Preisen
von umgerechnet DM 30 zuschieben lassen. Leider konnte ich für
meinen Ausflug in das Tokyoter Nachleben keine Gesellschaft erhoffen,
die Berliner waren vom Aufbau ihrer Ausstellung erschöpft, und
Krystian erwartete für den kommenden Sonntag ein Interview um
8 Uhr morgens; für japanische Verhältnisse nicht ungewöhnlich.
Auf meiner letzten Reise hatte ich schon ausgemacht, daß Tokyo
zum Fahrradfahren gar nicht so ungeeignet wäre. Die Entfernungen
im Innenstadtbereich entsprechen etwa denen in Hamburg oder Berlin,
und nach 22 Uhr, nimmt der Verkehr deutlich ab, wenn die werktätigen
Japaner sich auf den Weg zu ihren entlegenen Schlafstädten gemacht
haben. Deshalb hatte ich Krystian schon von Deutschland aus per e-mail
gefragt, ob er mir nicht ein Fahrrad besorgen konnte. Vor Ort sagte
er mir dann, daß er nicht fündig geworden wäre, aber
für die eine Nacht könnte er mir seins borgen, wenn ich
es ihm dann am nächsten Tag wiederbrächte. Nachdem wir die
Berliner verabschiedet hatten, machten wir uns auf den Weg zu seinem
Appartement. Außerhalb der großen Straßen ging es
in beinahe völliger Dunkelheit durch schmale Gassen zwischen
den kleinen, oft nur zweistöckigen Holzhäusern, die auch
in einer Megapole wie Tokyo von den hochhausartigen Wohnkomplexen
niemals vollkommen verdrängt wurden. Plötzlich standen wir
vor einer Garage, aus der Krystian ein ansehnliches Mountainbike hervorzog,
auf einen in der Dunkelheit kaum auszumachenden Wohnblock deutete
und meinte: "Da drüben wohn` ich, aber es ist besser wenn, Du
mich da hinten an der großen Straße von der Telefonzelle
aus anrufst. Ich komme dich dann abholen." So brach ich gegen 1 Uhr
ins Nachtleben auf. Von Ebisu ist es nicht weit nach Aoyama, das,
wohl wegen seiner Beliebtheit bei der Fashion-Szene, einige der angesagtesten
Clubs der Stadt aufweist. Krystian hatte mich auch entsprechend instruiert.
Als erstes steuerte ich den Aoyama Club an. Dieser befand sich im
Basement eines dieser gewaltigen Viadukte, auf denen der Autoverkehr
auf bis zu drei Stockwerken durch Toyko rauscht. Eine unscheinbare
Stahltür gewährte Einlass. Auf schmalen Eisenstufen zwei
Etagen tiefer dann der eigentliche Klub. So gross wie ein deutsches
Wohnzimmer. An diesem Abend war wohl Science-Fiction angesagt; der
ganze Raum war mit Nachbildungen von Gozilla-Figuren übersäht,
die im Schwarzlicht gespenstisch aufglühten. Auf einem Fernseher
liefen Gozilla-Filme der 50er Jahre. Nachdem ich meine Getränke-Bons
verbraucht hatte, wollte ich zum nächsten Club, dem Aoyama Mix
aufbrechen. Dieser sollte ein Stück weiter, in der Nähe
der Hauptgeschäftsstraße Omote-Sando sein. Obwohl ich einen
ausgezeichneten japanisch-englischen Stadtplan besaß, war die
exakte Location, die Krystian mit einem Kreuz gekennzeichnet hatte,
nicht auszumachen. Es muß gegen halb drei gewesen sein, als
ich, mich schon sehr nahe dran glaubend, an einer Ecke der Akasaka-Dori,
erneut den Plan konsultierte. In diesem Moment tauchten zwei Polizisten
auf Fahrrädern auf, umstellten mich und sprachen mich in gebrochenem
Englisch an: "Iiies everrising ollreit?" "Yes, yes", beeilte ich mich
zu sagen. Da fing schon der eine Polizist an, mein Fahrrad mit einer
Taschenlampe auszuleuchten: "Weer iies baik from?" "A friend of mine",
meinte ich und dachte, jetzt machen sie Schwierigkeiten wegen der
fehlenden Beleuchtung. "Weer iies frend lievin?" "In Daikanyamacho"
"Weer in Daikanyamacho?" "I don"t know". Jetzt erst verstand ich,
daß es um die Herkunft des Fahrrads ging. "Weer is frend nau?"
"At home, I think." Ich hatte mir Krystians Visitenkarte in meinen
Stadtplan eingelegt. Jedenfalls meinte ich mich daran noch zu erinnern,
als mir Krystian die Clubs im Plan markiert hatte, aber als ich den
Plan herauszog, um den Polizisten die Karte zu zeigen, war sie verschwunden,
nicht mehr aufzufinden. Vor den Polizisten durchwühlte ich meine
ganze Handtasche, aber die Visitenkarte war weg. Mit großer
Wahrscheinlichkeit war sie unterwegs beim Konsultieren des Plans herausgefallen.
Meine einzige Verbindung zu Krystian entschwunden. Jetzt wollten die
Polizisten meinen Pass sehen, aber den hatte ich ja vorsichtshalber
im Hotel gelassen. Ich konnte ihnen nur meinen Personalausweis zeigen,
aber das genügte ihnen nicht. Nur im Reisepass sind Ein- und
Ausreisedatum vermerkt, eine Maßnahme die verhindern soll, dass
Leute illegal im Land bleiben, wovor in Japan grosse Angst besteht.
Als sie merkten, daß sie so nicht mit mir weiterkamen, forderten
sie mich auf ihnen zu folgen. Etwa 500 Meter weiter, an der Ecke zur
Omote-Sando befand sich ein Koban, eine der unzähligen Polizei-Boxen,
die überall in Tokyo (und in Japan) anzutreffen sind. Mit zwei
oder drei Polizisten besetzt stellen sie den direkten Kontakt mit
der Bevölkerung her. Sich mit allerlei Anliegen des Alltags direkt
an die Polizei zu wenden hat in Japan nichts Anrüchiges. Von
der Auskunft der Verwaltungszuständigkeiten, über die Einhaltung
von Feiertagsvorschriften, bis zum Ausfindigmachen einer Adresse,
wird alles über diese kleinen Kisten abgewickelt. Hinsichtlich
der Adressen haben die Polizisten ein dickes Buch, in dem die umliegende
Nachbarschaft bis zum letzten Blumentopf aufgezeichnet ist, inklusive
der Namen aller Hausbewohner.
Hier wurde ich einem höherrangigen Polizisten vorgestellt, dem
ich die ganze Geschichte nochmal von vorne erzählen mußte.
"Wot iies frends naim?", wollte er wissen. Das war eine weitere Schwierigkeit.
Da ich mit Krystian ausschließlich über e-mail kommuniziert
hatte, war mir sein Familienname nicht weiter geläufig. Ich wußte
nur, etwas Polnisches: "Woschnicki" oder so ähnlich. Nein, ich
konnte es nicht aufschreiben. Während er wieder in seiner Kiste
verschwand, hatte die beiden anderen mein Fahrrad gründlich untersucht,
wozu sie es auch in Bereich des Rahmens und des Lenkers mit einem
grauer Puder einsprühten. Daß sie Krystian in einer Stadt,
die vielleicht 30 000 Ausländer aufweist und dabei die denkbar
strengsten Melderegelungen kennt, nicht ausfindig machen konnten,
erstaunte mich schon. "Zuckshow", brachte ich schließlich heraus,
in der Hoffnung, daß er vielleicht unter seinem Firmennamen
gemeldet wäre. "Bat, weer is mista zuckshow lievin?", entgegnete
mir der Polizist. "No, no", sagte ich, "not Zuckshow, his name is
Wosznikki." "Weer is frend lievin?" Das Spiel begann von Neuem. Ich
sagte ihnen, sie sollten mich doch ins Hotel fahren, da hätte
ich die Telefonnummer und meinen Reisepaß. Aber darauf wollten
sie nicht eingehen. Schließlich kamen drei Polizisten aus der
Kiste, bauten sich gewichtig vor mir auf und deklamierten: "Du ju
noau Mista Ogimoto?" "No, I don"t know Mr. Ogimoto, why?" "Bikoause
sis baisikel bielongs tu Mista Ogimoto, änd ju ar e baisikel
sief!" Sie hatten wohl in der Zwischenzeit am Fahrrad die Überreste
einer Kennnummer entdecken und auf den Eigentümer zurückführen
können. Meine Proteste mißachtend erklärten sie mir,
sie hätten soeben Mr. Ogimoto angerufen, und der hätte mitgeteilt,
daß ihm das Fahrrad vor drei Monaten gestohlen worden wäre.
Nun war ich aber kaum 18 Stunden auf japanischem Boden, wie hätte
ich da vor drei Monaten ein Fahrrad stehlen können? Das klang
einleuchtend, aber wie wäre ich an das Fahrrad gekommen: "Weer
is baik from? Weer is frend lievin?". So wiederholte ich mein Angebot
die Sache aufklären zu können, wenn sie mit mir zum Hotel
kämen. Nach kurzer Beratung verkündeten sie mir daraufhin,
dass sie das Fahrrad jetzt beschlagnahmen und mit mir nach Daikanyamacho
fahren müßten. Damit kam ich in das Vergnügen in einem
japanischen Polizeiauto fahren zu dürfen, allerdings mit vier
Polizisten, von denen mich zwei auf der Rückbank einquetschten.
Von der Omotesando war es höchstens eine viertel Stunde nach
Daikanyamacho, wo ich zum Glück noch die Telefonzelle wiedererkennen
konnte, auf die mich Krystian hingewiesen hatte. Hier mußte
ich mit einem der Polizisten aussteigen und durch das Viertel laufen,
um eventuell Krystians Haus zu finden. Da es aber zur Zeit der Fahrradübergabe
schon tiefe Nacht gewesen war und obendrein die Ortsangabe nur sehr
vage, konnte ich überhaupt nichts ausmachen. Noch nicht mal die
Garage, aus der er das Fahrrad genommen hatte. Nachdem der erste Polizist
nichts ausrichten konnte, mußte ich den zweiten durch die schmalen
Gassen führen. Wieder kein Erfolg. Das wiederholte sich mit gleichem
Ergebnis mit den restlichen zwei. Waren sie bis zu diesem Zeitpunkt
immer höflich und korrekt zu mir gewesen, so hatte ich ab diesem
Moment den Eindruck, daß ihre Geduld erschöpft war. Mit
quietschenden Reifen wendete der Fahrer den Wagen und fuhr Richtig
Aoyama zurück. Die Koban an der Omote-Sando ließen sie
links liegen und brachten mich stattdessen zu einem nahe gelegenen
Polizeihauptquartier, einem zehnstöckigen Betonklotz bei Akasaka-Mitsuke.
Hier zogen sie mich aus dem Wagen und trieben mich mit kleinen Stößen
in den Rücken vor sich her. "Jetzt gehts in die Zelle," dachte
ich, und malte mir schon ein schmales Gemach aus, in dem sie meine
Hartnäckigkeit erweichen wollten. Als ich aber in ein Großraumbüro
geführt wurde, wo mir ein offensichtlich noch höherrangiger
Polizeioffizier eine Tasse grünen Tee anbot, atmete ich erleichtert
auf. Die Vorstellung sofort eingesperrt zu werden, wich wieder von
mir. Diesem Offizier mußte ich wiederum die ganze Geschichte
erzählen, unterbrochen von den Berichten meiner Begleiter. Vor
meinen Augen produzierte er ein großes Faltblatt, das mit japanischen
Schriftzeichen bedeckt war. Er sei überzeugt davon, daß
ich die Wahrheit sagte, aber ich habe Unrecht begangen, in dem ich
auf einem gestohlenen Fahrrad gefahren sei. Sie seien aber bereit
darüber hinweg zu sehen, wenn ich mich dafür entschuldigte
und meine Unterschrift auf das Faltblatt setzte. Dann käme ich
sofort frei und könne gehen. Ich meinte, es täte mir ja
alles leid, und ich würde mich gerne entschuldigen, aber ich
könne kein Schriftstück unterschreiben, das ich nicht lesen
könne. "Pliies du it", bat mich der Polizeioffizier, und die
anderen beiden bestürmten mich, zum ersten Mal meinen Vornamen
verwendend: "Pliies, Stefan, beliief as, pliees." Der Polizei glauben,
daran dachte ich nicht im Traum. Mit meiner Weigerung waren sie offensichtlich
überfordert, jedenfalls redeten sie hektisch miteinander oder
riefen irgendwas in ein Telefon. Mir wurde ein Hörer gereicht:
da meldete sich eine Stimme, die sich als Senior Contact Officer ausgab.
Er bat mich doch das Formular zu unterschreiben, ich hätte sein
Wort, daß mir nichts passieren würde. Nein, darauf könnte
ich nicht eingehen, sie sollten es in Englisch schreiben, dann würde
ich unterschreiben. Der Hörer ging zurück an den im Raum
befindlichen Offizier, Diskussionen und langes Hin- und Her folgten.
Auch ich war mittlerweile erschöpft und am Ende meiner Geduld.
Sie mögen mich doch zur Deutschen Botschaft fahren, rief ich,
das ginge nicht an, daß sie mich hier so lange festhielten.
Das schien Eindruck zu machen, denn plötzlich ging alles sehr
schnell. Sie würden mit mir jetzt zum Hotel fahren, meinten sie,
wo sich herausstellen würde, ob meine Geschichte der Wahrheit
entspräche, andernfalls drohe mir eine "bäd penaltie". Es
war mittlerweile viertel nach sechs als wir in Shin-Nakano vor dem
Hotel ankamen. Und obwohl die Polizisten abwechslungsweise Sturm läuteten,
machte niemand die Tür auf. An der Rezeption hatte ja auch auf
einem Zettel gestanden, daß das Hotel unter keinen Umständen
vor sieben Uhr öffnen würde. Entnervt sperrten sie mich
in ihr Auto ein und gingen nebenan in einen Kaffeeladen, der schon
offen war. Punkt sieben erblickte ich den Hotelier, der, wie aus dem
Nichts aufgetaucht, die spärliche Pflanzen vor seiner Haustüre
aus einem Schlauch tränkte. Durch vehementes Klopfen an die Scheibe,
konnte ich die Polizisten auf mich aufmerksam machen und in Richtung
des Hoteliers deuten. Als ginge es um eine Gefangenenbefreiung stürmten
alle vier aus dem Café und umstellten den Mann, wild in meine
Richtung gestikulierend. Aus dem Wagen entlassen durfte ich dann mit
einem von ihnen auf mein Zimmer gehen, wo ich ihm den Pass zeigte
und aus meinem Filofax Krystians Telefonnummer gab. Diese hatte ich
am Vorabend aus reiner Vorsicht nochmals von der Visitenkarte dorthin
abgeschrieben. Von dem gleichen grünen Telefon, das ich schon
am Vorabend benutzt hatte, riefen sie jetzt bei Krystian an, wobei
sie im Verlauf des Gesprächs wechselseitig das Münzgeld
spendeten. Ein ungeheures Glück, dass Krystian an diesem Morgen
das Interview hatte, und somit zu Hause und erreichbar war. Nicht
auszudenken, wenn er diese frühe Stunde dem Anrufbeantworter
überlassen hätte oder vielleicht bei seiner Freundin geblieben
wäre. Somit fiel die Last des Verdachts von mir ab, während
Krystian ihnen erklärte, er hätte das Fahrrad schon vor
vier Monaten ziemlich ramponiert auf dem Sperrmüll gefunden und
selbst instand gesetzt. Es sei selbstverständlich bereit heute
noch aufs Revier zu kommen und die Sache zu klären. Damit war
auch für meine Begleiter der letzten fünf Stunden das Ende
ihrer Aufgabe gekommen, und bevor sie zu ihrem Wagen schritten schüttelten
sie mir noch artig die Hand und verabschiedeten sich bei mir mit den
Worten: "Thank you for your cooperation." Endlich auf meinem Zimmer
angekommen schlief ich bis in den frühen Abend.
photo credit: Stefan Beck
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