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The members of the group "Texel-Project" (Kurt Grunow, Mark-Steffen Bremer, Ulrich Wegenast) evaluate their finds from the Beachcombers-Museum on the North Sea Island Texel, in the Netherlands: "There we discovered several zinc boxes containing russian celluloid films, which were salvaged from the sea by a trawler in 1984. Years after the first discovery of the films, we travelled back to Texel only to find that the films had disappeared from the museum. The reason for the disappearance was a dispute between the museum's officials and an autonomous group of beachcombers (=Jütters), which let to a seperation. As a consequence a sub department of the Beachcombers-Museum, which exclusively consisted of the "Jütters" findings and also contained the russian films, was closed. After an intensive search, lasting three days, conducting investigations and interviews, we were able to obtain an insight into the islands bizaar world of collectors/beachcombers, which finally led to a successful find. In one of the numerous private collections we discovered some of the russian films. In an impromptu showing of one of the films we watched a political/educational film (synchronized in English) about a distant mongol province. Shortly after our departure from Texel, more Russian films were discovered in a remote store of the Island-Museum. Among the newly discovered films were parts of a 35 mm production from 1969, showing a version of "Crime and Punishment" by Lev Kulizhanov, based on the novel by Fjodor Dostojewski."
Die Jütter In früheren Jahrhunderten bestand eine einträgliche Erwerbsquelle vielerorts in Armut lebender Inselbevölkerungen darin, den Strand nach Wertvollem aus verlorengegangener Ladung vorbeiziehender oder havarierter Schiffe abzusuchen. (Was mitunter auch dazu führte, dass Insulaner Irrlichter entzündeten, um Schiffe absichtlich in Untiefen oder auf Riffe zu locken, um sie anschließend auszuplündern). In heutiger Zeit ist der Tourismus zur wichtigsten Erwerbsquelle vieler Inseln geworden. So verhält es sich auch auf der niederländischen Nordseeinsel Texel. Allerdings hat hier die traditionelle Sammeltätigkeit noch eine gewisse Bedeutung behalten. Die Nachfolger der "Jütters" (Strandräuber), die eine kleine, doch sehr aktive Minderheit der Bevölkerung ausmachen, suchen auch heute noch systematisch den Strand nach Treibgut ab, nehmen die Funde an sich und versuchen, auf die eine oder andere Weise hierdurch zu Geld zu kommen. Die Menge angeschwemmten Materials ist heutzutage immens, denn das Meer ist eine regelrechte Müllkippe, im eigentlichen Sinn "Wertvolles" ist deshalb natürlich kaum darunter. Allerdings ist das Meer eine "fluide Müllkippe", wodurch es - anders als an Land Ð keine klar geordneten Zeitsedimente gibt; alles befindet sich in Durchmischung und Bewegung. Die Palette auffindbarer Objekte reicht daher von der bronzenen Kanone aus dem 15.Jahrhundert bis zum Motor eines abgestürzten englischen Bombers, einem alten Funkgerät oder einem Koffer mit Injektionsnadeln und Verbandszeug. Es finden sich bunte Plastikschwimmer, Rettungsringe und -Westen, Positionslampen, Signalflaggen, Proviantkisten, Fässer, Ruder, Werkzeugteile und vieles, vieles mehr... Objekte verschiedenster Art werden außer am Strand auch in den über den Meeresgrund gezogenen Schleppnetzen der Fischtrawler gefunden oder z.B. nach Ortung mit Metalldetektoren aus dem Watt geborgen. weiter auf Seite 4 Das Museum Ü berall auf der Insel gibt es kleine, improvisierte Kollektionen, in denen die Jütters mehr oder weniger gut gelungen, ihre Funde zu imposanten Sammlungen zu verdichten suchen und mit denen sie sich als eigensinnig-stolze, autonome Minderheit profilieren. Das "Maritiem en Jutters museum" in Oudeschild hingegen hat sich der offiziellen musealen Aufarbeitung u.a. von Treibgutfunden angenommen. Dieses öffentlich finanzierte Museum ist zweigeteilt. Das Hauptgebäude, in dem das "Maritiem" (Seefahrt)- Museum untergebracht ist, zeigt eine seriöse Aufarbeitung der Inselgeschichte mit Zeichnungen, Karten, Dokumenten, Schiffsmodellen, sauber gerahmten Fotografien, historischem Gerät in Glasvitirinen, usw. Von den oben genannten Funden würde hier in jedem Fall die bronzene Kanone aus dem 15.Jahrhundert zu finden sein. Direkt daneben, in einer geräumigen Scheune, findet sich alles übrige: In dem ehemaligen Kornspeicher befindet sich das "Jütters-Museum"; eine chaotische Inszenierung von Fundgegenständen aus dem Meer, Funde der vergangenen 60-80 Jahre, dichtgedrängt, ohne wissenschaftliche Systematik in der Art einer WUNDERKAMMER. Die russischen Filme In dem unglaublichen Gewühl von teilweise nur notdürftig nach Größe und Form geordneten Objekten, fielen mir bei einem Besuch im Sommer 1994 mehrere, etwa hüfthohe Zinkbehälter auf, mit Klammern oder Riemen verschlossen, teilweise geöffnet. Bei näherer Betrachtung erwiesen sich diese Zinkröhren als Behälter für waagrecht gestapelte Zelluloid-Filmrollen russischen Ursprungs, was an der kyrillischen Beschriftung der Röhren zu erkennen war. Mehrere der Behälter waren geöffnet und man sah, dass sie bis zum Rand mit Filmrollen gefüllt waren, etwa 10Ð20 Stück pro Behälter. Kleinere Röhren enthielten 16mm-Filmmaterial, größere 35 mm. Der Zustand der Filme war sichtbar unterschiedlich gut, in einigen Tonnen lagen die Filmrollen in einer Sand- und Salzkruste verformt und verbacken, in anderen ziemlich unversehrt. Auf einer Bilderfolge, die ich durchs Licht besah, waren Aufnahmen von Sportwettkämpfen zu sehen. Alles deutete darauf hin, daß sich bis dato niemand inhaltlich mit diesem Fund beschäftigt hatte; dass diese Zinkröhren also Ð in der Logik des Wunderkammer-Museums Ð schlicht als silberfarbene Fundobjekte, gefüllt mit Film, behandelt wurden und zu Gegenständen ähnlicher Größe und Form
plaziert und vergessen, bzw. in der unüberschaubaren Fülle der gesamten Fundansammlung neutralisiert wurden. Was mochte auf diesen Filmen zu sehen sein? Wo genau kamen sie her und wie ins Meer und wieder an Land? Ð Kassiber, einer Flaschenpost gleich, gefüllt mit Kulturfragmenten auf Zelluloid aus dem Sowjetreich... Wäre es möglich, die Filme wieder projezierbar zu machen, bzw. zu restaurieren? Offene Fragen. Texel-Projekt Fünf Jahre später wurde das TEXEL-PROJEKT begründet. Zusammen mit dem Filmfachmann Uli Wegenast und dem Medienkünstler Mark-Steffen Bremer geht es darum, Bergung, Sichtung und Aufarbeitung des Fundes und seiner Begleitumstände zu entwickeln. Zunächst war davon auszugehen, daß wir in diesen Filmen wohl keine cineastischen Raritäten vor uns haben würden. Die Verklappung von Filmabfall auf dem offenen Meer war in der Sowjetunion über Jahrzehnte hinweg üblich. Hingegen wäre eine funktionierende Projektion der Filme nicht ganz unmöglich - in der experimentellen Filmpraxis ist seit den 50er Jahren die Projektion von beschädigtem, oxidiertem oder anderweitig mechanisch bearbeitetem Filmmaterial üblich. Erste Kontaktaufnahmen mit dem Maritiem en Jutters Museum auf Texel ergaben, dass ein Teil der Filme aus Brandschutzgründen aus dem Museum ausgelagert worden waren. Dies ließ die Vermutung aufkommen, dass diese Filme sehr alt sein könnten, da stark feuergefährliches Nitrat-Filmmaterial bis in die 30er Jahre hergestellt wurde, danach nicht mehr. Es würde auch erklären, warum man in der Sowjetunion auf den Gedanken verfiel, zur gefahrlosen Entsorgung von Filmmaterial dieses ins Meer zu werfen. Der aufgeschlossen und kooperativ wirkende Leiter des Museums meinte weiter, ein Teil der Filme sei wohl noch da, außerdem gebe es Leute, die Auskunft über den Verbleib der Filme geben könnten. Das Museums-Schisma Außerdem erfuhren wir, daß es inzwischen auf der Insel zu einer verhängnisvollen Entzweiung gekommen war: Eine Gruppe von Jütters, aus deren
Funden die Präsentation in der Scheune des öffentlichen Museums aufgebaut war, hatte einen großen Teil ihrer Fundgegenstände aus dem Museum wieder entfernt, nachdem ihre Forderung nach Beteiligung an Einnahmen aus Eintrittsgeldern abgelehnt worden war. Die Scheune mit den malerisch inszenierten Strandgutfunden neben dem Hauptmuseum hatte die Attraktivität des gesamten Museums zweifellos erhöht. Ð Jährlich 15000 Besucher, viele von ihnen womöglich nur wegen der Trash-Sammlung im Museum, was sich zweifelsfrei allerdings nicht nachweisen läßt, da der zu zahlende Eintritt beide Museumsteile umfasst. Es kam zu einem Rechtsstreit zwischen dem Museum und den Jütters, die argumentierten, dass sie als die Finder der Gegenstände auch die rechtmäßigen Besitzer derselben seien Ð altem Insel-Gewohnheitsrecht nach, was die Museumsseite allein schon als illegal einstuft - und sie somit auch Anspruch auf den aus ihnen hervorgehenden finanziellen Ertrag hätten. Was die juristische Klärung des Falles komplizierte war die Tatsache, dass der zur Debatte stehende Streitwert sich wohl bei nahezu null bewegte. Denn der Material- oder Sammlerwert der einzelnen Stücke Ð für sich genommen Ð ist völlig unerheblich, erst als Masse, als Ensemble erfährt die gesamte Ansammlung eine auratische Aufladung, wozu museumseigene Objekte und vor allem dessen Infrastruktur wesentliches beitragen. Da das Museum zu keinerlei finanziellen Zugeständnissen bereit war, kam es zur letzten verbliebenen Lösung, der Rückgabe sämtlicher von der Jüttersgruppe reklamierter Gegenstände, was zu einer Schrumpfung des Sammlungsbestandes um gut 50% führte. Die Jüttersgruppe zog die Gegenstände ab und richtete damit ein eigenes Museum am anderen Ende der Insel ein, in einer Scheune eines landwirtschaftlichen Anwesens. Für unsere Suche nach den russischen Filmen waren diese Entwicklungen äußerst ungünstig, denn es stand zu befürchten, dass auch die Filme im Zuge der Um- und Auslagerungen verloren, zerstreut oder mit dem reklamierten Bestand ins "Gegenmuseum" verfrachtet worden waren. Telefonische Kontakte ergaben sich auch mit einigen Jüttern. In Unkenntnis des Niederländischen, das sich für meine Ohren in den besten Momenten wie eine bizarre Mundart anhört, hörte ich heraus, dass einige der Filme untersucht und vor einiger Zeit sogar in einem Kino projiziert worden seien. Es seien da außer olympischen Wettkämpfen auch Kopien amerikanischer Spielfilme darunter gewesen mit russischen Untertiteln sowie ein möglicherweise arabisch synchronisierter Film. Die Informationen wurden immer abstruser und widersprüchlicher. Die Expedition Wir beschlossen selbst nach Texel zu reisen und die geheimnisvollen Zinktonnen aufzufinden; denn, dass es sie tatsächlich gab, hatte ich ja vor fünf Jahren mit eigenen Augen gesehen. Ausgerüstet mit einem 16mm-Projektor machten wir uns auf den Weg- so wären wenigstens die 16mm-Filme vor Ort anzuschauen, für die Kinoformate müssten wir eine andere Lösung finden Ð vorausgesetzt wir finden überhaupt noch etwas. Nach etwa 12 Stunden Autofahrt setzten wir in Den Helder mit der Fähre nach Texel über und schliefen erstmal in unserer wunderbaren, von Freunden empfohlenen Unterkunft, einer Pension im ehemaligen katholischen Pfarrhaus der Insel. Zeigehandlungen Am nächsten Morgen nehmen wir wieder telefonisch Kontakt auf mit dem Leiter des Maritiem en Jütters Museum. Er ist ein junger Amsterdamer Kunsthistoriker, der erst seit wenigen Jahren die Museumsleitung übernommen hat und prompt als eine der ersten Amtshandlungen den zähen Rechtsstreit mit den Jütters durchzufechten hatte. Das Museum ist Samstagmorgens geschlossen und er selbst nicht im Hause, doch hat er zwei Mitarbeiter des Museums instruiert, die wir dort treffen und die uns bei der Auffindung der Filme behilflich sein sollten. Der eine von ihnen wohnt unmittelbar nebendem Museum und ist selbst ein leidenschaftlicher Sammler und Jütter. Allerdings ist er ein klarer Gegner des Gegenmuseums im "Haus Flora" und ist als freiwilliger Mitarbeiter des Maritiem en Jutters Museums speziell in der Jüttery- Abteilung tätig. Nachdem wir mit ihm erfolglos die Museumsscheune nach den Filmen durchsucht hatten, führt er uns in eine kleine Hütte direkt bei seinem Wohnhaus, die sich als eine komprimierte, regelrechte Sammler-Werkstatt erweist, gleichsam eine miniaturisierte, inoffizielle Sonderabteilung des öffentlichen Jütters-Museums. Das Prinzip unwissenschaftlicher Anti-Systematik ist hier ebenso vordringlich, jedoch in der Inszenierung unfreiwilliger; es scheint hier mehr um private Aufbewahrung auf kleinstem Raum zu gehen. Während der Suche nach von ihm privat verwahrter russischer Filmfunde zieht er ständig irgendwelche anderen interessanten Gegenstände aus dem zu einem Archiv umfunktionierten alten Wohnzimmer-Vitrinenschrank und knüpft daran verzweigte Geschichten. Er "performt" mit seiner Sammlung und gibt ihr dadurch Wert und Sinn. Wenn er einmal verstorben ist, wird auch seine Sammlung wertlos. Endlich bringt er eine große 35mm Filmspulendose herbei. Sie ist mit einem Sovexportfilm-Etikett versehen mit Titelangabe in kyrillischer Schrift Ð zweifellos einer der Filme aus den Zinktonnen. Wie wir später herausfinden, handelt es sich um eine Rolle des Films "Prestupleniye i nakazaniye", zu deutsch "Verbrechen und Strafe" Ð Eine Verfilmung des Dostojewski-Romans "Schuld und Sühne", 1969 von Lev Kulidzhanov gedreht, kein Nitratfilm. Sein Umgang mit dem Filmmaterial ist rauh; zwar möchte er den gesamten Film nicht aus der Hand geben, er reißt uns aber einen kleinen Streifen "zum Mitnehmen" davon ab. Auch den separat aufbewahrten Vorspann des Films gibt er uns mit. Eine gute Idee von ihm ist, das Filmetikett auf der Filmdose zu fotokopieren und uns zur Identifizierung mitzugeben, auch ihn interessiert Titel und Herkunft des Films. Aus diesem Material erschloss sich später weiter, dass der Film für den Export nach Schweden bestimmt war und in einem Kopierwerk in Nowosibirsk hergestellt wurde. Schließlich findet er noch einen weiteren russischen 16mm-Farbfilm, ein kurzer Film von ca. 15 min. Länge; auch diesen schenkt er uns. Zwei einzelne Filme und ein paar Schnipsel waren nun also gefunden, der größte Teil des Kontingents aber fehlte und so hofften wir, diese im Gegenmuseum der Jütter, im Haus Flora, aufzufinden. Suchbewegungen Die Haus Flora-Sammlung befindet sich in zwei Scheunen, die ursprünglich wohl der Unterbringung von Landmaschinen dienten. Ein Jütter, den wir dort antreffen, empfängt uns freundlich, führt uns in die Baracke, die beschriftet ist mit "Das einzige, wahre Jütters-Museum". Er sucht hier und da, erklärt uns aber bald, dass weder eine Zinktonne noch Einzelexemplare russischer Filme in der Kollektion seien. Die Haus Flora-Sammlung besteht fast ausschließlich aus jenem Teil der Jütters-Sammlung, die vor drei Jahren aus der Scheune des Maritiem en Jutters Museums nach gerichtlichem Entscheid abtransportiert wurde. Sie wirkt hier allerdings wenig überzeugend präsentiert und aufbereitet und es wird klar, dass der Bedeutung und Wert verleihende museale Kontext in dieser von Landmaschinen-Atmosphäre geprägten Umgebung sich nicht recht einstellen will. Der Sammlungsleiter verweist uns auf einen Filmvorführraum im Flughafenmuseum auf Texel, in dem auch historische Filme gezeigt werden. Seiner Meinung nach seien die russischen Filme dorthin gebracht worden. Aber unsere Nachforschungen dort sind ebenso erfolglos wie unsere Nachfrage beim örtlichen Kinobesitzer, der, obwohl seit sieben Jahren im Kino vor Ort tätig, weder von einer möglichen früheren Vorführung der Filme, noch von der Existenz aus dem Meer geborgener Filme überhaupt etwas weiß. Unsere auf die gesamte Insel ausgedehnten Suchbewegungen erbringen weiter nichts als jeweils immer neue Verweise auf Personen oder Institutionen. Wir begegnen auf diese Weise den kuriosesten Persönlichkeiten. Etwa Cor Ellen, mit weit über siebzig der älteste und wohl auch obsessivste der Jütter. Jeder auf der Insel kennt ihn. Sein kleines Haus ist übervoll mit "Jütt-Kuriosa"; Tischplatte und Stühle stammen aus dem Meer, das ganze Haus scheint aus aus dem Meer gefischten Dingen zu bestehen. Es gibt Objekte, die er bereits 1939 am Strand gefunden hat. Ein kleiner Empfänger überträgt pausenlos den Funkverkehr an der Küste, im Falle einer Havarie eilt er mit seinem Fahrrad an den Strand, um als erster eventuell ankommendes Treibgut in Empfang zu nehmen. Ü berhaupt ist der Mann ein inkarniertes Gedächtnis und die meiste Zeit mit Fahrrad und Anhänger am Strand unterwegs. Er erinnert sich sofort an die Zinktonne mit den russischen Filmen. Ohne lange zu suchen gibt er uns einen etwa 30 cm langen Filmstreifen, ein Stück eines Farbfilms, stark zerkratzt und beschädigt, zu sehen ist eine Nahaufnahme, doch es ist nicht erkennbar, was dargestellt ist. Dies sei ein Stück der 1984 vom Fischerboot TX4 aufgefischten Filme, er selbst habe damals die Tonne in Empfang genommen und an das Museum in Oudeschild weiter gegeben, doch wo sie jetzt ist, wisse er nicht. Sein Hinweis wiederum führt zu Marten Boon, einem Jütter, ebenfalls mit eigenem Sammlermuseum, der ein einträgliches Geschäft mit Strandgut-Suchfahrten für Touristen betreibt. Mit einer Pferdekutsche steuert er mit ihnen von ihm zuvor präparierte "Fundorte" am Strand an, um dort sensationelle Dinge zu bergen. Gegenüber meinen Kollegen geriet ich allmählich selbst schon in den Verdacht, das immer wieder beschworene Bild der ZINKTONNE ANGEFÜLLT MIT RUSSISCHEN FILMEN AUS DEM MEER vielleicht nur zu phantasieren... Improvisierte Filmvorführung und Pornoangst Wir beschlossen, im direkt hinter der katholischen Kirche gelegenen ehemaligen Gemeindehaus, das unsere Vermieter gerade renovierten, eine Vorführung des 16mm-Tonfilms, den wir von dem Maritiem en Jütters Museum-Mitarbeiter bekommen haben, zu machen. Unsere Vermieter hatten spontan zugesagt und auch Freunde und Bekannte eingeladen. Voller Spannung erwarteten sie die Sichtung des geheimnisvollen Fundes. Das erste Bild des Films, das wir durchs Licht betrachtet erkannt hatten, zeigte das Atelier eines Malers und eine Staffelei, auf der eine weiße Leinwand steht. Der Film befindet sich auf einer selbstgebauten Spule. Erst jetzt kommt der Gedanke auf, es könnte sich bei dem Film eventuell auch um eine obszön-pornografische Produktion aus dem Bordkino eines Frachters handeln Ð die Anfangsszene Maler-Modell könnte auf derartiges hinweisen... Doch unsere Mutmaßungen bewahrheiten sich nicht. Der vom Salzwasser stellenweise angegriffene, insgesamt aber erstaunlich gut vom Projektor wiedergegebene Film erweist sich als ein englisch synchronisierter, aus russischer Produktion stammender Film über eine entlegene, mongolische Provinz in der Sowjetunion. Ein Erziehungsfilm, in dessen Mittelpunkt ein alter Maler steht, der jenes entlegene Land portraitiert, in dem der Segen des Sowjetkommunismus sich reibungslos mit der einheimischen Kultur verbindet. Der Film könnte Ende der 60er, Anfang 70er Jahre hergestellt worden sein. Der rasch improvisierte Vorführabend gelingt vorzüglich und erbringt auch einen weiteren Tipp zur Auffindung der übrigen Filme: Die Adresse eines Redakteurs der Tageszeitung der Insel, dem "Texelse courant". Vorletzter Akt Wir treffen uns mit ihm am letzten Tag unseres Aufenthalts auf der Insel, kurz vor unserer Abreise. Er zeigt sich einerseits sehr interessiert an der Filmsuche und andererseits, wie wir selbst auch, ärgerlich über die Ahnungslosigkeit der Museumsleitung in dieser Frage. Er verspricht uns, über den Zeitungsartikel hinaus noch weitere Nachforschungen anzustellen. Wir verlassen die Insel mit einigen Filmfragmenten im Gepäck, sowie etwa fünf Stunden Videomaterial von unseren Recherchen und Interviews. Unsere Rückfahrt nimmt längere Zeit in Anspruch und wir beschließen, bei Freunden in Hannover zu übernachten. Spät abends klingelt das Telefon, Uli ruft an, man habe die Filme kurze Zeit nach unserer Wegfahrt gefunden. Auf Recherchen des Zeitungsredakteurs hin hatte sich herausgestellt, dass sich zwei der Zinktonnen in einem Lagerraum für Farben und Lacke des Maritiem en Jütters Museums in Oudeschild befanden. Die Auswertung der uns zugeschickten, fotokopierten Filmetiketten ergaben, dass es sich um 35mm-Filme handelt. Neben Fortsetzungsrollen von "Verbrechen und Strafe" sind darunter einige Rollen des 1975 gedrehten Kostümdramas "Zvesda plenitelnogo schastya", dt. "Stern des faszinierenden Glücks" von Vladimir Motyl. Desweiteren ein noch nicht näher identifizierbarer Film mit dem Titel "Kater im Sack" aus einem Kopierwerk in Kiev. Die Arbeit von TEXEL PROJEKT konzentriert sich seither neben weiteren Identifizierungsarbeiten auf die Konzeption einer Ausstellung zur Fundgeschichte und Rezeption des gesamten Vorgangs. photo credits: Die "Texelgruppe" (Kurt Grunow, Marc Steffen Bremer, Uli Wegenastzurück |