Reclam-Paperbacks
at the "Museum für Gedankenloses" ("Museum for thing that have
been created absent-mindedly" at Gallery ON, Cologne. Till 3.5. 1999.
A review.) Will there be a time without Reclam-paperbacks? But who
will then care for classic literature and publish it? Up to now, Reclam-paperbacks
have survived more than 130 years and have always successfully altered
their appearance. Goethe fits always and every-where. Today, Reclam
has publishing houses in Stuttgart and Leipzig. Actually Reclam-paperbacks
fulfil some of the conditions to attract the attention of collectors:
they exist in huge masses, they can be easily recognised and nicely
put on a shelf. On the other hand there is no particular scene of
Reclam-collectors, and this must have some reasons. They probably
are too boring, possibly too cheap and also your feelings about them
might not have improved since school. The Reclam-paperbacks at the
"Museum für Gedankenloses" in Cologne , however, are a beautiful
collection. This has also its reasons. All these Reclam-paperbacks
have been marked, painted or changed in their appearance in another
way by their former owners (mostly pupils). Often the pupils' mind
wanders from classical music to pop. They want Falco, PIL or the Scorpions
to appear on stage. While walking through the exhibition, probably
every visitor's memory might start to workÐÐ even I had to sit in
these classrooms and were made to face this kind of literature . This
makes the exhibition surprisingly effective-it concerns us. These
books have entered our collective memory more vehemently than other
schoolbooks (of the other competing publishing houses), as an empty
sign for putative greatness. All of the presentations of Thomas Schneider
and Martin Kätelhön at the "Museum für Gedankenloses"
developed casually and were dedicated to unintentionally produced
trivialities. The still growing collection contains the wire of champagne-corks
formed artistically, kneaded rests of candle wax, folded paper, notes
that someone has drawn and scribbled on, beer mats and so on. Two
alternating exhibitions during the past years were 'guest performances'
of other collections. In 1997 scribblings of members of the German
Bundestag (Parliament) were presented, collected by Karl-Heinz Schmidt,
who is the head of the assisstents in the chamber. Last year handwritten
and discarded shopping lists were shown, collected by Bettina Harperath
and Thomas Taepke. This series of exhibitions will be continued and
other collections are prepared.
Eigentlich
erfüllen Reclam-Hefte einige der Voraussetzungen, um die Aufmerksamkeit
von Sammlern auf sich zu ziehen: es gibt sie massenhaft, sie sind
leicht zu erkennen und lassen sich schön nebeneinander stellen.
Andererseits gibt es keine Reclam-Heft-Sammelszene, und das muß
Gründe haben. Wahrscheinlich sind sie zu langweilig, vielleicht
zu billig und möglicherweise ist die Erinnerung daran zu unangenehm.
Die Reclam-Hefte im Museum für Gedankenloses in Köln sind
allerdings eine wirklich schöne Sammlung. Auch das hat seine
Gründe. All diese Reclam-Hefte sind von ihren vormaligen Besitzern
beschrieben, bezeichnet oder sonstwie verändert worden. Wir müssen
uns die Schüler und Schülerinnen in ihren Klassenräumen
vorstellen. Zuvor waren alle Reclam-Hefte gleich: auf einer ziemlich
gelben Pappfläche die Ansammlung eines Namens, eines Titels,
zweier schwarzer Striche und des Wortes "Reclam". Gegen diese nichtssagende
Gleichheit gelang den ungenannt bleibenden Helden und Heldinnen der
Ausstellung damals, in der Zwangslage des Schulunterrichts, die Individualisierung
ihres Exemplars. Was haben nun die einzelnen Schülerinnen und
Schüler mit diesem Freiraum anfangen können, dem vielen
Nichts auf dem Titelblatt einer verspäteten klassischen Moderne?
Einige Strategieen seien hier unterschieden. Der einfachste Akt der
Aneignung ist die Ausstattung mit dem eigenen Namen. Handschriftlich
gesellt sich Michael Geib zu Frank Wedekind, Dilek Gür zu Gerhart
Hauptmann und G. Christ zu William Shakespeare. Harmlos bleibt auch
die Verzierung der Hefte mit Mustern, Ornamenten, Ranken und Girlanden.
Dazu kommt das beliebte Umrahmen und Ausfüllen von Buchstaben.
Eine inhaltliche Beziehung zwischen Titel und Gestaltung gibt es bei
regelrechten Illustrationen: auf dem Titelblatt von Büchners
"Lenz" sprießt das Grün, "das Schiff Esperanza" geht unter
und in der "Judenbuche" hängt jemand aufgeknüpft. Eine andere
Form der inhaltlichen Bezugnahme ist die witzig gemeinteVerfremdung:
nun heißt es "Nathan, der Waisenknabe", ausnahmsweise gibt es
"Kaba und Liebe" oder auch "Intrige und Libido". Die Autoren heißen
Messing, Schüler und Henrike Ibsen. Den Gipfel der Reaktionen
bilden Spott und Verachtung: "Don Carlos soll"s Maul halten!", "100
Jahre Qual", "Kotz von Brechlingen". Das ist deutlich. Diese Aufzählung
hier besagt nicht viel. Die erweiterten Titelblätter sind meist
ungewollt höchst subtil und es hätte sich gelohnt, dem kleinen
Ausstellungskatalog mehr als 27 Abbildungen beizugeben (Also: lieber
hingehen!). Oft enthüllt auch der erste Blick noch nicht die
gedankenlose Raffinesse und Vielschichtigkeit der beiläufigen
Bearbeitung (Also: Zeit und Gedanken fließen lassen!). Oft gleitet
der Schülergeist von Klassik zu Pop. Falco, PIL oder die Scorpions
sollen auftreten. Die erwünschten Ikonen werden ergänzt.
Donald Duck ist auch dabei. In der Ausstellung beginnt wahrscheinlich
in jedem Besucher die Erinnerung zu arbeiten: Auch ich habe in Klassenräumen
gesessen und bin dieser Lektüre ausgesetzt gewesen. Das macht
diese Ausstellung so seltsam wirkungsvoll: Wir sind damit verbunden.
Stärker als andere Schulbücher (der verschiedenen konkurierenden
Verlage) sind diese Hefte ins kollektive Gedächtnis eingegangen,
als leere Zeichen für vermeintliche Größe. Alle bisher
von Thomas Schneider und Martin Kätelhön im Museum für
Gedankenloses präsentierten Ausstellungen waren beiläufig
entstandenen, ohne zwingende Absicht gestalteten Nebensächlichkeiten
gewidmet. Zur weiterhin wachsenden Sammlung gehören verformte
Sektkorkendrähte, geknetete Wachsreste, gefaltete Papiere, bezeichnete
und bekritzelte Zettel, Bierdeckel und vieles mehr. Zwei Wechselausstellungen
der vergangenen Jahre waren Gastspiele ähnlicher Sammlungen.
Im Jahr 1997 gab es Kritzeleien von Bundestagsabgeordneten zu sehen,
gesammelt von Karl-Heinz Schmidt, dem Chef der Saaldiener im Plenum.
Im letzten Jahr dann fanden handgeschriebene und später weggeworfene
Einkaufszettel Beachtung, zusammengetragen von Bettina Harperath und
Thomas Taepke. Die Reihe der Ausstellungen soll fortgesetzt werden,
weitere Sammlungen sind im Aufbau. Die besprochene Ausstellung ist
zu sehen in der Galerie ON, Köln, Jülicher Str. 27. Bis
3.5.1999 (Di-Fr 14-18, Sa 10-14 Uhr). Ein "Ausstellungs-Begleitband"
im Reclam-Design ist erschienen.
photos choosen from Christoph Otterbeck
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