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Mutterkorn
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"Ich bin begeisterter Pilzesammler." Die Reaktionen auf meine
Leidenschaft lassen sich in zwei Gruppen von Menschen teilen. Die
einen fangen sofort an von ihrem Lieblingsrezept zu schwärmen,
es sind die Speisepilzsammler. (Ich liebe im Moment in Essig eingelegte
Reizker). Die anderen beginnen wissend zu lächeln, es sind die
Freunde und Sammler, eines für die meisten Menschen völlig
unscheinbaren, kleinen und mageren Pilzes. Im Vordergrund steht dabei
für sie die Wirkung dieses Pilzes und nicht dessen zweifelhaften
kulinarischen Wert. Von weit her angereist treffen sich diese speziellen
Pilzsammler auf bestimmten, nur mündlich überlieferten Wiesen,
im Südschwarzwald. Bis nach Straßburg hat sich der Ruhm
dieser Weiden überliefert. Getrocknet und als Süppchen zubereitet
führt dieser Pilz zu berauschenden Ergebnissen. Der Trip kann
dauern, für manchen hält er für den Rest seines Lebens
an. Ähnlich wie bei LSD kann das Halluzinationen hervorrufende
Gift Psilocybin das Geröll unserer Psyche zum Rutschen bringen
und anhaltende Psychosen auslösen. Nicht nur die Wirkung verbinden
beide Rauschmittel,auch ihr Entdecker ist der selbe. Dem Schweizer
Albert Hofmann gelang es als ersten das LSD zu synthetisieren, ein
Gift, welches wie vermutet wird genauso wie das Psilocybin, Sterotonin
imitiert und den Thalamus, den Informationsfilter zur Großhirnrinde,
öffnet. Für die Entdeckung des LSD stand ein weiterer Pilz
Pate: das Mutterkorn. Das kleine spindelförmige, schwarzviolette
Mutterkorn, dessen Giftigkeit als St. Antoniusfeuer seit dem Mittelalter
bekannt ist, befällt Getreide,- und Grasähren. Die Pilzdroge
wird seit Jahrhunderten in der Geburtshilfe genutzt. Sein Name verweist
dabei auf die anregende Wirkung, die der Pilz auf die Gebärmutter-Muskulatur
ausübt. Angeregt durch Sagen aus dem untergegangenen Mexiko der
Azteken und der Erwähnung eines glückverheißenden
Pilzes in den Ü berlieferung begannen Ethnologen nach diesem
"Glückspilz" zu suchen. Fündig wurden sie bei einem mexikanischen
Indianerstamm dessen Schamanin noch mit den rauscherzeugenden Pilzen
praktizierte. Nach der Wiederentdeckung des Pilzes, konnte Hoffmann
kurze Zeit später das hierfür verantwortliche Psilocybin
darstellen. Der Siegeszug der Pilze und ihrer Wirkung, propagiert
von den Philosophen der Hippiebewegung ging in alle Welt. Mittlerweile
wurden über 60 verschiedene psilocybinhaltige Pilze gefunden.
Darunter auch der auf den Schwarzwaldwiesengern gesuchte Psilocybe
semilanceata, der einem relativ hohen Gehalt der "bewußtseinserweiternden"
Droge enthält. Typisch für den Pilz ist die Hutform, die
in einem Nippelchen endet. Hinzu kommen seine geringe Größe
und der leicht verbogene, recht elastische Stil. Nach einer Hypothese
des in Freiburg lebenden Biologen und Pilzsachvertändigen Helgo
Bran befindet sich auf dem Hut eine Fühlpapille, mit welcher
sich der Pilz durch das Gras arbeitet. Stößt er dann an
einen Wiederstand weicht er seitlich aus, was zu dem häufig verbogenen
Stiel führen könnte. Auch was den Nutzen der Pilze betrifft
hat der Biologe seine eigene Meinung. So äussert er sich in der
Ärzte Zeitung / Nr. 194, 27. Okt. 1998 wie folgt: Man sollte
den "psychohygienisch positiven Aspekt" betonen, den das mühsame
sorgfältige Suchen und der entspannte Genuß böten;
allerdings sei eine Altersbegrenzung angebracht, und das Führen
von Fahrzeugen und das Bedienen von Maschinen müsse tabu sein
ebenso wie bei dem weitaus "gröberen und vulgäreren Rauschmittel
Alkohol." Die heimische Ware (Psilocybe semilanceata) wächst
im Süd-Schwarzwald in Höhen von über 800 Metern auf
den sauren Böden der Kuhweiden im Gras (und nicht wie oft angenommen
auf Kuhfladen - das sind andere Pilze). Um sie zu finden ist es am
Anfang nötig, sich etwas einzusehen, um dann gebeugt und ruhig
über eine geeignete Wiese zu gehen. Dabei können mit etwas
Glück in einer halben Stunde bis zu 90 Exemplare gefunden werden,
es können aber auch nur 10 Exemplare in zwei Stunden werden.
Wem das zu mühsam ist, der kann sich auch aus Holland eine Styroporbox
schicken lassen mit einer Anleitung zur Heimaufzucht eines tropischen
Verwandten. Die hierfür benötigte UV-Lampe und das feuchtwarme
Mikroklima, das der Pilz zu seinem Gedeihen benötigt, lässt
die Box aber eher zu einem Pilztamagotchi werden. Folgende Pilzerlebnisse
berichtete mir ein begeisterter älteren "Psilo-User" der sich
das "Vergnügen" mehrmals im Jahr gönnt. "Ich empfehle, wenn
man es zu Hause macht eine Decke bereitzulegen, weil man gerne friert
- auch unangenehm frieren kann. Man bekommt ausserdem, fast alle berichten
das, Gähnanfälle, das darf einen nicht erschrecken. Ich
selbst muß manchmal intensiv atmen. Was den Verdacht bei mir
hat aufkommen lassen, daß die Atmung etwas beinträchtigt
ist, - wie die Atemtiefe und die Atemfrequenz. Das Atemzentrum, das
diese Funktionen beeinflusst, scheint etwas beeinträchtigt zu
sein. Was Sie bei geschlossenen Augen sehen, ist von der Farbintensität
her toll und unglaublich. Man sieht in verschiedenen Phasen Neonfarben.
Das ist kaum zu steuern. Was mir nicht gelingt ist, daß ich
zum Beispiel sagen kann: Jetzt will ich einen Meeresstrand sehen.
So etwas ist mir nie gelungen. Man sieht bei geschlossenen Augen beim
Höhepunkt der Wirkung, die mindestens 30 bis 40 Minuten anhält
- alles ganz scharf strukturiert und begrenzt. Das ist, als ob man
das Hologramm eines Geldscheins mit einer Lupe betrachtet. Ich gehe
dabei manchmal über den Jahrmarkt und fahre, was ich sehr empfehlen
kann, Riesenrad. Nichts Heftiges machen, bitte! Man kann ruhig mal
10 Minuten bei den heftigen, modernen Geräten mit dem Flimmerlicht
zuschauen aber dann sollte man wieder etwas Ruhiges aufsuchen und
am Arm seiner Frau zum Beispiel auf die Teddybären starren. Sehen
wie die sich dann bewegen und wie die weißen Teddybären
purpur werden. Wenn sie etwas Strukturiertes haben wie einen Heizkörper,
machen sie folgendes: Schauen sie in diesem Zustand einen Heizkörper
an. Die Rippen beginnen dann zu wabern - sehr interessant für
mich und schön. Wenn ich in diesem Zustand meine Hände anschaue
sind das furchtbar alte Hände und jede Schrunde öffnet sich
und wird furchtbar. Wenn ich mich im Spiegel anschaue und dann noch
Grimassen schneide, bekomme ich manchmal einen Lachanfall und sehe
dabei jede Einzelheit sehr deutlich. Man vergrößert alles
starr und sieht es detailreich, das kann ich bestätigen. Es scheint
so zu sein, daß das Blickfeld sich auf das was man betrachtet
einengt und der Rand dabei vernachlässigt wird. Das Bild wird
um so detailreicher, so als würden in der Netzhaut viele Stäbchen
und Zäpfchen aktiviert. Diesen Erlebnissen lässt sich von
Seiten des Autors wenig hinzufügen, da er zur Kategorie der Speisepilzsammler
zählt. Am Ende bleibt noch die Warnung des Pilzfreunds: "Ich
bin von meinen Freunden gebeten worden darauf aufmerksam zu machen,
daß manche Menschen nicht diese positiven Erfahrungen machen."
photo credits: Helgo Bran
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