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Das Kernkraftwerk in Grundremmingen Block A, das 1966 als das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Welt nach nur 4-jähriger Bauzeit ans Netz ging, liegt an der Donau zwischen Ulm und Augsburg. Es war das Erste von 3 Demonstrationskernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland. Das Projekt wurde gefördert durch die Bundesregierung und die Europäische Atomgemeinschaft EURATOM. Bauherr und Betreiber ist die Kernkraftwerk RWE - Bayernwerk GmbH. Es lieferte während der gesamten Laufzeit 15000 GWh in das öffentliche Netz und kam dabei auf eine durchschnittliche Zeitverfügbarkeit von ca. 75%. 250 Megawatt Leistung sollten die Baukosten von 304 Millionen DM amortisieren. Gleichzeitig wurde bereits mit der Inbetriebnahme an das Betriebsende gedacht und für den danach notwendigen "Sicheren Einschluss" oder "Rückbau" entsprechende Gelder zurückgelegt. Das Ende kam 1977 infolge eines Fehlers in der Turbinenregelung, bedingt durch einen externen Kurzschluss in den vom Kernkraftwerk wegführenden Stromleitungen. Die Folge war, dass sich etwa 200.000 Liter Wasser in das Reaktorgebäude ergossen. Obwohl aufwendige Reparaturarbeiten und Nachrüstungen im Sicherheitsbereich getätigt wurden, entschloss sich die Kernkraftwerkleitung nicht mehr ans Netz zu gehen, nicht zuletzt deswegen, weil sich in unmittelbarer Nachbarschaft bereits die Blöcke B und C im Bau befanden. Mit dem Stillstand wurden unverzüglich die Brennelemente aus dem Reaktordruckgefäss entnommen und im Brennelementlagerbecken deponiert. Jetzt konnte mit den Vorbereitungen für den Rückbau begonnen werden, nachdem sich die Verantwortlichen gegen einen Einschluss, der eine absolute Abdichtung des gesamten Reaktorgebäudes über viele Jahrzehnte bedeutet hätte, und für den Abbau der gesamten Anlage entschieden hatten. Gründe dafür waren darin zu sehen, dass zu diesem Zeitpunkt noch die gesamte Infrastruktur vorhanden und daneben das Team der Betreibungszeit noch anwesend waren, das das Kernkraftwerk bis in die letzten Ecken bestens kannte. Die Kosten sind auf etwa 220 Millionen DM veranschlagt. Seither sind im Durchschnitt 45 Personen täglich mit dem Abbau und der Entsorgung des Innenlebens des Maschinen- und des Reaktorgebäudes beschäftigt. Schritt für Schritt nähert sich die Truppe dem Core, dem Reaktor selbst, der als das Herz bezeichnet wird. Da keine empirischen Vergleichsobjekte und -Arbeiten vorlagen, musste primär eine grundlegende Vorgehensstruktur geplant werden. Dieser Rückbau erregt weltweit grosses Interesse, da er Modellcharakter besitzt insofern, als hier technisches Know how zum Einsatz kommt, das speziell für diesen Rückbau zum Teil vor Ort und von Rückbau-Mitarbeitern neu entwickelt und im Vorfeld getestet wird. Eine reizvolle Aufgabe auf technischem Gebiet, der sich eine hochmotivierte Truppe stellt. Alle Mitarbeiter sind vom Gelingen dieses Projektes überzeugt und der bis heute erzielte Fortschritt bestätigt dies. Ziel ist es, durch optimale Planung und Vorgehensweise das Risiko einer Strahlenbelastung für das Personal auf ein Minimum zu beschränken, den grösstmöglichen Anteil des belasteten Materials zu dekontaminieren, um ihn dann sicher endzulagern. Was bleiben wird ist eine leere Hülle, die als vorläufiges Lager und Werkstätte benützt werden kann, bevor sie irgendwann komplett abgebrochen werden wird. Für eine reibungslose und möglichst gefahrlose Umsetzung der geplanten Demontage, wurde der gesamte Rückbau in 3 Phasen eingeteilt, die jedoch in der Praxis permanent ineinander übergreifen: Phase I: Unmittelbar nach der Teilgenehmigung 1983 kann die Demontage im vorgelagerten Maschinenhaus beginnen: Dieses enthält schwach kontaminierte Teile wie u.a. die Dampf- und Speisewasserrohrleitungen, den Kondensator, Pumpen, Vorwärmer und den Turbosatz. Nach ß9 des Atomgesetzes "Verwertung radioaktiver Reststoffe und Beseitigung radioaktiver Abfälle" ist der Betreiber verpflichtet, diese schadlos zu verwerten oder soweit dies nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, als radioaktive Abfälle gesondert zu beseitigen. Gemäss diesen Vorschriften stehen zwei Wege für eine Wiederverwertung zur Verfügung: a. Dekontamination bis zur spezifischen Aktivität von max. 0,1 Bq/g bzw. zur Oberflächenkontamination von max. 0,5 Bq/g b. Einschmelzen des Materials bei spezifischer Aktivität bis 200 Bq/g und bedingte Verwertung im kerntechnischen Bereich. Da in Phase I vorwiegend ferritische Stahl-Bauteile aus dem Dampf- Wasserkreislauf anfallen, können beide Wege beschritten werden. Für die praktische Vorgehensweise ist eine Einteilung in 3 Kontaminationsklassen sinnvoll: am Grundmaterial festhaftende Kontamination im Anstrich fixierte Kontamination lose haftende Kontamination Um Zugang zu den verschiedenen Teilen in der Maschinenhalle zu bekommen, müssen teilweise Abschirmwände, Fundamente, Estrich und sonstige Betonteile beseitigt werden, zusammen etwa 500 Tonnen. Der dabei anfallende Betonschutt wird auf transportfähige Grössen von 20 bis 35 Tonnen zugesägt, anschliessend gereinigt und grossflächig freigemessen. Der weitaus geringere Teil an gebrochenem Beton wird mittels eines Mahlwerkes auf Walnussgrösse verkleinert und in Papiersäcken verpackt massenspezifisch freigemessen. Nach Einbringen der benötigten Demontagemaschinen und Schutzvorrichtungen werden die überwiegend anfallenden Stahlteile nach ausgearbeitetem Plan zerlegt, mit Hilfe von Bügel-, Band- oder Schwertsäge, Tafel- oder Krokodilschere mechanisch zerkleinert und, wo es sinnvoll ist, werden thermische Trennverfahren angewandt wie z.B. autogenes Brennschneiden. Bei Wanddicken von weniger als 100 mm hat sich Acetylenbrennen bewährt, bei stärkeren Wanddicken Propangasbrennen. Hierbei ist generell Atemschutz vorgeschrieben und freiwerdende Aerosole sind vor Ort abzusaugen. Die so zerkleinerten und nun mobilen Teile können mit Hilfe von Kränen oder fahrbaren Untersätzen zur weiteren Verarbeitung an einen geeigneten Platz gebracht oder an die vorbereiteten Dekontaminationsstellen transportiert werden. Bauteile mit festhaftender Kontamination werden chemisch und/oder elektrochemisch dekontaminiert. Hierzu stehen 2 mit ca. 40prozentiger Phosphorsäure gefüllte Tauchbecken zur Verfügung, die von 6000-A- bzw. 4000-A-Gleichrichtern versorgt werden. Beim sogenannten Elektropolieren wird in einem Phosphorsäurebad über Elektroden eine Spannung von 10 Volt erzeugt, gleichsam ein umgekehrter Galvanisierungsprozess, wodurch die Metallteile gereinigt werden und sogar im Mikrobereich eine Art Polierung erfahren. Die eingesetzte Phosphorsäure wird nach einem speziellen patentierten Verfahren regeneriert und dem Prozess wieder zugeführt. Dabei fallen bei 1 Tonne Eisen 12 Kilogramm EisenIonen an, die durch Beigabe von Oxalsäure und Fällung des abgetragenen Materials und nach Filtration als festes Eisenoxalat nun vorliegen. Eine anschliessende thermische Behandlung von 32 Kilogramm Eisenoxalat ergibt einen radioaktiven Sekundärabfall von 15 Kilogramm Eisenoxid. Eine Endreinigung mit einem gewöhnlichen Dampfreiniger schliesst sich an. Das Verfahren ist so effektiv, dass Eisen, wenn es die letzte Prüfungsbarriere erfolgreich durchlaufen hat, einer normalen Schrottverwertung zugeführt werden kann. Im Anstrich fixierte Kontamination wird durch chemisches Abbeizen mittels Natronlauge entfernt. Lose haftende Kontamination kann durch Wasserhochdruckstrahlgeräte problemlos beseitigt werden. Bei beiden Verfahren fällt Abwasser an, das in der Wasseraufbereitung bzw. in der Verdampferanlage entsorgt werden muss. Das Einschmelzverfahren wird angewandt, wenn sich aufgrund von unwirtschaftlichen Aspekten oder anderen Gegebenheiten, wie z.B. dünnwandige Wärmetauscherrohre oder komplizierte Geometrie des betreffenden Teiles, eine Dekontamination als nicht sinnvoll erweist. So werden etwa Kondensatorrohre in einer externen autorisierten Giesserei eingeschmolzen. Das entstehende Messing kann danach freigegeben werden und wiederverwertet werden. Durch das Schmelzen findet neben der Homogenisierung der Aktivität und der damit verbundenen exakten Aktivitätsbestimmung eine starke Reduzierung der Aktivität im geschmolzenen Material statt, da während des Schmelzvorgangs nahezu das gesamte Cäsium 137 im Abluftfilter und in der Schmelzschlacke aufkonzentriert wird. Wichtig bei all diesen Arbeiten ist eine hohe Demontage- und Zerlegegeschwindigkeit im Strahlenfeld vor Ort und eine Nachzerlegung von ausgebauten Teilen mit möglichst geringer Aerosolfreisetzung zur Vermeidung von Inkorporationen. Bei der anschliessenden Dekontamination ist in jeder Hinsicht auf optimalen Personenschutz zu achten. Ebenso ist eine Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt in jeder Weise zu vermeiden. Das Anlegen von Schutzkleidung ist obligatorisch. Jeder Arbeiter trägt ständig ein Dosimeter bei sich. Das für die Abgabe in den normalen Schrottkreislauf vorbereitete Material wird durch staatliche Aufsichtsbehörden erst freigegeben, wenn diese durch eigene Messungen von der Strahlungsfreiheit des Materials überzeugt sind. Selbstverständlich wird das gesamte übrige Material ständig internen Messungen unterzogen. Durch eine genauste Dokumentation aller Vorgänge und der Lagerung ist ein lückenloser Nachweis der Arbeiten und des Aufenthaltsortes ständig gewährleistet. Bis zum Abschluss der Arbeiten in Phase I, also im Maschinenhaus, ergibt sich folgende Massen- und Aktivitätsbilanz: Etwa 4000 Tonnen angefallenes Material mit einer Gesamtaktivität von 4 x 1010 Bq, davon 70% Cobalt-60, 30% Cäsium-137, 44% Metall, 13% Beton und 2% sonstige Masse sind zur freien Wiederverwertung geeignet. 38% Metall ist bedingt frei, also etwa 1700 Tonnen. Dieses wird in einer Giesserei zu Endlagerbehältern verarbeitet. Der Anteil des endzulagernden Abfalls beträgt 2%, der wesentlich als Sekundärabfall bei der Dekontamination angefallen ist. Zu sonstigem Material ist Isolierwolle und Öl zu zählen. Während der Phase I ist das Personal keiner nennenswerten erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt. Die Demontagearbeiten verursachten eine Gesamtdosis von etwa 1Sv. Der Anteil der Strahlenbelastung durch Inkorporation ist vernachlässigbar gering. Mit der Abluft wurden lediglich Aerosole in geringen Mengen abgegeben. Der Genehmigungswert von 3,7 x 108 wurde lediglich zu ca. 1% ausgenützt. Das Abwasser aus der Rückbautätigkeit wurde der Wasseraufbereitungsanlage der laufenden Blöcke zugeführt und ist von untergeordneter Bedeutung. Phase II: In der zweiten Stillegungsphase, für die seit 1989 die Genehmigung vorliegt, werden höher kontaminierte, reaktorwasserbeaufschlagte Komponenten und Systeme im Reaktorgebäude, wie Sekundärdampferzeuger, Primärreinigungskühler und Primärumwälzpumpe abgebaut. Die primärwasserbeaufschlagten Systeme und Komponenten, insbesondere die Dampferzeuger und die Primärreinigungsanlagen, enthalten im Vergleich zu den bereits ausgebauten Teilen des Maschinenhauses durch die erhöhte Kontamination etwa 100mal mehr Aktivität. Sie verteilt sich etwa im Verhältnis 70:30 auf das Aktivierungsprodukt Cobalt-60 und das Spaltungsprodukt Cäsium-137. Hier gelten alle strahlenschutztechnischen Vorsichtsmassnahmen in erhöhtem Masse, das heisst, dass die anfallenden Arbeiten, soweit es technisch möglich ist, maschinell automatisiert werden, die personelle Präsenz im Strahlungsbereich auf ein Minimum reduziert wird und für die Weiterverarbeitung im Maschinenhaus entsprechende Schutzmassnahmen getroffen werden, wie z.B. das Errichten von Schutzmauern oder die Fernbedienung mittels Greifarmen. Für die Weiterverarbeitung von aktiviertem Material wurden Schneide- und Sägemaschinen speziell entwickelt und im leergeräumten Maschinenhaus installiert. Eine 1500 Tonnen Presse steht bereit, damit das endzulagernde Material volumenreduziert in Fässern eingeschlossen und abtransportiert werden kann. Als besondere Herausforderung an Personal und Technik erweist sich die Demontage der 3 Dampferzeuger, die sich um das Druckgefäss herum befinden. Während der Betriebszeit lieferten sie eine Sekundärdampfmenge von 449 t/h mit einem Dampfdruck von 35 ata, dabei entwickelte sich eine Temperatur von 241 Grad Celsius. Wegen ihrer Grösse von 10 Meter Höhe und einem Durchmesser von über 2 Metern ist ein Abbau in tuto und eine Verarbeitung im Maschinenhaus nicht praktikabel, so dass eine Möglichkeit der Verkleinerung vor ort anzustreben ist. Dafür wird vom Ingenieursteam ein neues Verfahren entwickelt. Nachdem der Dampferzeuger rundum zugänglich präpariert ist, wird er von unten bis oben komplett in eine Kunststoffisolierfolie gepackt und abgedichtet. Anschliessend wird dieser mit Wasser gefüllt. Eigens hierfür gekaufte Kühlaggregate blasen nun über Schläuche kalte Luft in das Innere des Dampferzeugers und gefrieren diesen innerhalb weniger Wochen auf minus 18 bis 20 Grad Celsius tief. Jetzt kann, oben beginnend, eine überdimensionale Bandsäge vertikal an einer Führungsschiene angebracht werden, die vollautomatisch den Sekundärdampferzeuger in 80 cm hohe Einzelstücke, sogenannte Schüsse, unterteilt. Diese können anschliessend problemlos zur Weiterbehandlung aus dem Reaktorgebäude gebracht werden. Durch die Tiefgefrierung kommt es zu einer Abschirmung und Reduzierung der Dosisleistung, die somit auch dem Schutz des Personals dient. Das Eis verhindert eine Freisetzung von Aerosolen während des Sägevorgangs. Desweiteren benötigt das Sägeblatt keine zusätzliche Kühlung und reduziert somit indirekt den Sekundärabfall. Als entscheidender Vorteil erweist sich die Eingefrierung beim Problem der Fixierung der Wärmetauscherrohre, von denen sich 4000 im Inneren des Dampferzeugers befinden, denn das Eis hält die Rohre zusammen und unterbindet Schwingungen während des Sägens, so dass die Rohre, vom Eismantel festgehalten, wie ein einzelnes dickes Rohr betrachten werden können. Erfahrungsgemäss führt der Sägevorgang zu keiner Erwärmung im Innern des Dampferzeugers. 8 Stunden benötigt die Säge für einen Schnitt, ehe sie höhenverstellbar nach unten gefahren wird. Jetzt kann der Schuss, 10 Tonnen schwer, mit einem Kran angehoben und ins Maschinenhaus zur weiteren Verarbeitung transportiert werden. 11 Schnitte sind insgesamt nötig, bis der stählerne Koloss zerlegt ist. Im Maschinenhaus wird nun hinter einer eigens dafür errichteten Schutzmauer begonnen, die gekürzten 4000 Wärmetauscherrohre, nachdem sie wieder aufgetaut sind, aus dem Dampferzeugermantel zu nehmen. Da sich diese zum Teil nur schwer lösen, wird mit Hilfe einer Rüttelapparatur der Arbeitsvorgang unterstützt. Um das Personal weitestgehend vor radioaktiver Belastung zu schützen, ist hier ausgefeilte Technik besonders gefragt. Ferngesteuert und vollautomatisch wird den Schüssen zu Leib gerückt. Die anschliessend kreuz und quer vorliegenden Stäbe werden mit Hilfe eines Greifarmes auf eine Art überdimensionale Kehrschaufel gelegt und in bereitgestellte Fässer eingefüllt. Diese wiederum trägt ein Kran zur hydraulischen Presse, in der sie im Rahmen der Volumenreduzierung auf 20 cm starke tablettenförmige Scheiben reduziert und anschliessend in weiteren gelben 200 Liter Fässern verpackt werden, um letztendlich endgelagert werden zu können. Der dickwandige Mantel des Dampferzeugers wird, nachdem er weiter zerkleinert ist, im Säurebad aktivitätsfrei elektropoliert und kann nach den Strahlenmessungen in den normalen Schrottkreislauf gebracht werden. Bei metallischen Bauteilen mit definierter Oberfläche ist zur Freigabe die Bestimmung der Oberflächen-Restkontamination erforderlich. Zu diesem Zweck werden 200 cm3-å/ß-Grossflächenzähler mit digitalen Auswertegeräten verwendet. Mit Hilfe einer speziellen, von Mitarbeitern entwickelten, digitalen Signalverarbeitung lässt sich eine Einzelmesszeit von 5s mit einer Nachweisgrenze von ca. 0,15 Bq/cm2 bezogen auf Cobalt-60, verwirklichen. Reststoffe ohne definierte Oberfläche, wie gebrochener Beton oder Isoliermaterial, werden auf hochempfindlichen Gamma- Messplätzen mit Flüssigszintillationssäulen auf der Basis der gleichen Auswertetechnik freigemessen. Die Radioaktivität in den Primärwassersystemen beläuft sich bei einer Masse von umgerechnet 700 Tonnen auf 1x1012 Bq. Die Kontamination beträgt dabei bis zu 20 000 Bq/cm2 bei ähnlichem Nuklidspektrum wie unter Phase I. Die Kollektivdosis beträgt etwa 1,4 Sievert. Wenn man die unterschiedlichen Massen der Phasen I und II berücksichtigt, ist dies nur eine unwesentliche Dosiserhöhung gegenüber der Belastung während den Arbeiten in Phase I des Rückbaus. Phase III: In der Phase III, für die seit 1992 die Genehmigung vorliegt, gilt die Konzentration des Rückbau-Teams allem voran dem Reaktordruckbehälter und seinem Innenleben d. h. den kernnahen Einbauten. Wegen ihrer unmittelbaren Nähe zu den Brennelementen über viele Jahre hinweg geht von ihnen starke Strahlung aus. Darunter fallen der Dampftrockner, der Speisewasserverteiler, die obere und untere Gitterplatte, der Kernmantel, sowie andere geringe Mengen von Materialien aus dem Reaktordruckgefäss. Der Biologische Schild gehört zu den letzten Rückbauarbeiten. Für die letzte Phase wird eine Gesamtaktivität von 5x1016 Bq kalkuliert, die sich im wesentlichen auf die kernnahen, aktivierten Strukturen mit einer Masse von 50 Tonnen konzentrieren. Fast die gesamte Aktivität steckt in den kernnahen Einbauten, also in der oberen und unteren Gitterplatte und im Kernmantel, die zusammen etwa eine Masse von 15 Tonnen haben. Von Vorteil ist, dass die hohe Aktivität nur zu einem sehr geringen Teil strahlenschutztechnisch wirksam werden kann, da sie im Material fest eingebunden vorliegt. Aus radiologischer Sicht ist die im Schneidfugenmaterial mobilisierte Aktivität von Bedeutung. Die Direktstrahlung dieser Bauteile, die bis zu 80 Sv/h beträgt, wird aufgrund von Unterwasser-Fernhantierung weitgehend vom Personal ferngehalten. Die aus dem Wasser aufsteigenden Aerosole werden mit geeigneten Absauganlagen entfernt. Durch Eigenentwicklungen sowie kalte und heisse Vorversuche werden geeignete Techniken und Verfahren für Fernhantierung und Zerlegung qualifiziert. Zur Optimierung der einzusetzenden Verfahren werden vor Beginn der Zerlegung an repräsentativen Komponenten Schneideversuche durchgeführt. Der Dampftrockner, 4 Meter hoch und 7 Tonnen schwer, mit seiner komplexen Geometrie, jedoch vergleichsweisen geringen Kontamination bzw. Aktivierung, stellt dafür das geeignete Objekt dar. Daneben kann die Handhabung der getrennten Teile und die Beherrschung der entstehenden Aerosole getestet werden. Hierfür wird eine spezielle Zerlegeeinheit konzipiert und gebaut. Diese besteht aus einer feststehenden Säule mit einem gekrümmten Ausleger, auf dem verschiedene Werkzeugträger, je nach Schneidaufgabe, montiert und verfahren werden können. So wird die Aussenhaut des Dampftrockners, die sogenannte Schürze, im Absetzbecken unter Wasser zerlegt. 200 Meter Schnittlänge ergeben 160 Einzelteile. Mit Hilfe des Elektropolierverfahrens können die Teile zur Weiterverarbeitung in eine externe autorisierte Giesserei gebracht werden. Bewährt hat sich als Werkzeug ein Unterwaser- Plasmabrenner. Mit ihm werden an der 5 mm dicken austenitischen Blechschürze des Dampftrockners die Trennschnitte durchgeführt. Die Funktionsweise eines Plasmabrenners ist folgende: Der von einem faustgrossen Brennerkopf erzeugte Lichtbogen wird mit einem Argon-Stickstoffgemisch versorgt. Bei einer Stromstärke von bis zu 600 Ampé re und einer Leistung von 100 Kilowatt entstehen Temperaturen bis zu 10 000° Celsius. Der Gasstrahl verdrängt das Wasser und das anfixierte Metall schmilzt. Mit Hilfe von montierten Kameras kann der Schneidevorgang jederzeit an Monitoren verfolgt werden. Dies ist auch notwendig, um genaustens die errechneten Schnittstellen tätigen und den Schneidevorgang permanent überwachen zu können. Unterstützt wird dies durch einen entwickelten Drehtisch, auf dem die verschiedenen Teile zentriert und dann milimetergenau auf die Schnittstelle lokalisiert werden müssen. So ist eine optimale Lage des Materials zum Brenner gewährleistet. Das Einrichten des Drehtisches und des Materials nimmt zum eigentlichen Schneidevorgang verhältnismässig viel Zeit in Anspruch. Der Schneidvorgang selbst dauert nur etwa 5 Minuten. Vor dem eigentlichen Zerkleinerungsvorgang werden bereits passende Löcher in die vorgesehenen Teile geschnitten und mit speziellen Halterungen versehen, um sie anschliessend an Seilen hängend auf dem Beckenboden als sogenannte Pakete in einer Gitterbox zwischenzulagern. In einem einzigen Transportvorgang sollen sie dann später gemeinsam zur weiteren Dekontaminierung herausgehieft werden. Die Anforderungen an das Zerlegekonzept des Reaktordruckbehälters mit einer Innenhöhe von 15,9 Meter, einem Durchmesser von 3,71 Meter und einem Gewicht von 282 Tonnen sind an den verschiedenen Druckgefässabschnitten unterschiedlich. Als erster Schritt werden die Einbauten des Druckgefässes fernbedient und unter Wasser thermisch getrennt. Der obere und untere Teil des Gefässes kann aufgrund der geringen Aktivierung autogen an Luft geschnitten werden. Die hohe Flexibilität und Schnittgeschwindigkeit der thermischen Schnittverfahren kommen besonders an geometrischen Besonderheiten im Bereich von Stutzen und Deckelflansch gegenüber den langsamen mechanischen Methoden zum Tragen. Erst danach kann der Mittelteil zersägt werden. Da dieser höher aktiviert ist als der obere und untere Teil, werden die 120 mm dicken Wände mittels einer hydraulisch angetriebenen Kreissäge in 2 Stufen unter Wasser zerlegt. Somit ist genügend Platz geschaffen und die Kalotte, weniger aktiviert, kann nun durch trockenes, thermisches Verfahren getrennt werden. Insgesamt fallen in Phase III etwa 600 Tonnen Stahl und Beton an, die in ein Endlager gebracht werden müssen, verpackt und abgedichtet in Fässern zu je 200 Litern. Diese Menge wird nicht mehr als rund 1% der gesamten Abbaumasse des Innenlebens von Maschinenhaus und Reaktorgebäude darstellen. Die Masse aus der Phase III führt zu einer Kollektivdosisbelastung von rund 1,5 Sv und bleibt damit im Bereich der Phasen I und II. Als letzter Rückbauschritt steht der Biologische Schild auf dem Plan. Der Biologische Schild stellt aufgrund seiner Masse und seiner Aktivierung eine besondere Anforderung an Mensch und Technik. Mit einer Höhe von 5 Metern, einem Innendurchmesser von rund 4 Metern und einer Betonstärke von 1,3 Metern, bringt der Koloss ein stolzes Gewicht von rund 300 Tonnen auf die Waage. Desweiteren ist er von Metallrohren, Rohr an Rohr, wie ein Schild rundum durchsetzt. Die Rohre haben die Aufgabe die entstehenden hohen Temperaturen während der Betriebszeit abzuleiten. So ist er von der Konsistenz und dem Handling nicht dazu geeignet, um ihn einfach aus seinem 35jährigen Kokon problemlos und in tuto herausnehmen zu können. Zu berücksichtigen ist dabei die Aktivität von 1x1011 Bq. Daher gilt es, ein vernünftiges und praktikables Verfahren zu ersinnen, den Schild an seinem Standort so zu zerlegen, dass die entstehenden Betonteile sicher aus dem Reaktorgebäude gebracht werden können. Dabei ist nicht nur das Zerkleinerungsverfahren selbst zu klären, sondern gleichbedeutend wichtig ist, dass das Personal unter grösstmöglichen Kautelen arbeiten kann, die freiwerdenden Aerosole gesammelt und die entstehenden Abfallvolumina auf ein Minimum beschränkt werden können. Das dazu geeignete Know how und eine kostengünstige Vorgehensweise sind hier neu zu definieren. Hohe Ansprüche, denen es gilt gerecht zu werden. Seine Aufgabe, einen natürlichen Schutz aufgrund seiner Materialbeschaffenheit gegen radioaktiven Austritt zu bilden und die entstehende Wärme zu kanalisieren, hat er mit Bravour erfüllt, so dass ihm nun ein ganz besonderer und würdiger Abgang bereitet werden kann. Während den Ü berlegungen und Planungen ist es allen Beteiligten sehr schnell klar geworden, dass es unmöglich wäre, am Objekt des Interesses direkt eine Art Versuchsreihe zu starten. Ein innovativer, sich von den anderen Wegen unterscheidender Schritt musste eroiert werden. Viel zu viele Unsicherheitsfaktoren liessen sich rein theoretisch nicht verantwortungsvoll aus der Welt schaffen. Das Rückbau-Team in Grundremmingen, allen voran die Rückbau-Spezialisten Dr. H. Steiner und Dr. N. Eickelpasch, planen nun diesen letzten Schritt akribisch bis ins letzte Detail, um alle eventuell auftretenden Probleme bereits im Vorfeld im Griff zu haben und um auch ein noch so kleines und unvorhersehbares Risiko ausschliessen zu können: Sie lassen auf dem Kraftwerksgelände in unmittelbarer Nähe des Stichkanals ein Modell des Biologischen Schildes im Masstab 1:1 nachbauen. Die Originalpläne sind Grundlage des Modells. Auf einem vorbetonierten Fundament wird in adäquater Betonmischung der runde Schild errichtet und die wärmeleitenden Metallrohre werden in den planmässigen Abständen rundum gleich mit einbetoniert. Eine aufwendige Arbeit, die aber durchaus ihre Berechtigung hat. Jetzt können an dem Modell die unterschiedlichsten Versuche für einen Abbau getätigt werden. So werden Kernbohrungen vorgenommen. Mit diamantbeschichteten Seilsägen werden vollautomatisch grosse Segmente aus der Betonhülle herausgesägt und mit Hilfe eines Lastenkrans herausgehoben, nachdem eine entsprechende Halterung angebracht ist. Die entstehenden Aerosole werden mittels eines überdimensionalen Staubsaugers gesammelt, ebenso der entstehende Betonstaub. Alle Arbeiten werden genaustens dokumentiert und anschliessend diskutiert. Das nun durch die Vorversuche in seiner Form wieder bereits beschädigte Modell wird bis zur Vollendung des Rückbaus des Biologischen Schildes stehen bleiben, um für eventuell weiter notwendige Versuche zur Verfügung zu stehen. Die modellhaften Arbeiten haben gezeigt, dass der Rückbau des Biologischen Schildes bei entsprechender Planung und sorgfältigem Handling insgesamt keine übergrosse Barriere darstellt. Die anfallenden Massen bedingen erfahrungsgemäss einen grösseren Zeitaufwand der Demontage und der Entsorgung. Dieser wird aber billigend in Kauf genommen, denn danach neigt sich der Rückbau dem Ende zu, das etwa zur Jahrtausendwende erreicht wird. Masstabsgetreu wird das Modell hergestellt, beruhend auf die im Vorfeld einfliessenden Erfahrungen und offen für die aus der Idee heraus stammenden Postulate, die je nach Bedarf das Modell modifizieren. Der Masstab ist die Idee selbst. Es ist eine grossartige Idee. Das Modell zielt auf eine aus dem Besonderen zum Allgemeinen hin tendierenden Objektivität ab, wobei diese dann den Anspruch der unbegrenzten Gültigkeit fordert. Am Modell wird die Idee einer ersten Prüfung unterzogen. Was hier entstanden ist, ist gleichsam eine Spiegelung des Innersten, des sogenannten Cores. Etwas, was dem Einblick über viele Jahre entzogen war, erfährt hier seine visualisierte und abstrahierte Offenbarung. Ein Bereich, der die Faszination, die Technik und die hervorgerufenen Üngste der gesamten Kernenergie in sich vereinigt. Dort, wo es um den Kern der Sache geht, dort wo sich die Kernreaktionen abspielen, dieser Ort war bis jetzt dem Zugang für das menschliche Auge verwehrt worden. Die Sehnsucht, in diesem geheimnisvollen Raum zu verweilen, erfährt seine Erfüllung in der Begehbarkeit und der Rezeption des 1:1 Modells des Biologischen Schildes. In dieses kleine Bauwerk, das sich unter blauem Himmel präsentieren kann, wird der Sieg des Menschen über die Technik und über die Natur symbolisch transformiert. Das Modell steht damit stellvertretend für den Fortschritt der Menschheit. Es ist der letzte Beweis, den die Rückbau-Strategen noch anzutreten haben.

Photos ausgewählt von Adi Hösle

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