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Apfelbäumchen vor der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt/Main

 

Bei der Besichtigung des Mainzer Doms vor einigen Wochen entdeckte ich ein Steinobjekt, das meine Neugierde weckte. Der Stein vermittelte mir spontan die Idee, es könne sich hier um eine Kunstaktion handeln. Zu diesem Eindruck hat sicher der Ort beigetragen, an dem sich der Stein befand. Etwas deplaziert stand er in einem dämmrigen Seitenschiff des Doms, umgeben von einem Wandteppich, ein Geschenk einer Gemeinde aus Equador und den vielen Heiligen aus vergangen Jahrhunderten. Auf einer Postkarte, die zum Kauf auslag, sah ich den Stein wieder. Er war darauf umgeben von allerlei farbigem Papierbeiwerk, in der Mitte plaziert, abgebildet. Fast so, als wäre er gerade aus seinem Geschenkpapier ausgepackt worden. Der Stein stammt von einem Steinbruch bei Bethlehem und wurde vom "Deutschen Verein vom Heiligen Land" gestiftet. Von dort wurde der Steinrohling nach Deutschland verschifft und zu seinem ersten Bestimmungsort, der Münsterbauhütte in Köln gebracht. Dort meißelten die SteinmetzInnen seine Ecken und Kanten ab und brachten den Stein in Form. Auch seine Inschrift: "Wer wird den Stein wegrollen" erhielt der Stein in Köln. Am ehesten erinnert die grob behauene Steinscheibe an einen Mühlstein. Dann ging der Stein auf Reisen. Ü ber 30 verschiedene Orte und Kirchen in Deutschland sollen mit ihm besucht werden. Wie aus einem Informationsblatt hervorging, stammte die Idee und Konzeption zu der Steintournee von der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, die sich diese Aktion für das Heilige Jahr ausgedacht hat. Für die christlichen Frauengruppen ist der Stein ein Symbol für die vielen Steine, die den Frauen auch noch heute in den Weg gelegt werden. Darauf beziehen sie auch den Satz aus dem Markus-Evangelium, der in den Stein eingemeißelt ist (Mk 16, 1Ð8). Die Inschrift war die Frage, die sich die Frauen auf dem Weg zum Grab von Jesus am Ostermorgen stellten. Durch die rege Reisetätigkeit des Steines und sein beträchtliches Gewicht von über einer Tonne erklärt sich das Eisengerüst, das den Stein wie ein Korsett umschließt. Mit dieser praktischen Vorrichtung, die an einen Schlitten erinnert, lässt sich der Stein mühelos von einer Kirche in die andere tragen. Von der Bundesgartenschau in Singen, wo sich der Stein im Moment befindet, bis zur Jahrestagung der AG Frauenseelsorge, bei der dieser Stein im Andachtsraum des Reichstags in Berlin Anfang des kommenden Jahres erwartet wird. Das den Stein umgebende Gerüst verhindert auch, dass der Stein von selbst ins Rollen kommt und somit unachtsame Besucher gefährden könnte. Um ihn ins Rollen zu bringen, bedarf es großer Anstrengungen. Denn wegen seines beträchtlichen Gewichts muss der Muschelkalk mit einem Transportunternehmen von Ort zu Ort gefahren und dort von Facharbeitern mittels Kränen und Hubwägen bewegt werden. Eine Ökobilanz für ein so geistiges Unternehmen aufzustellen scheint absurd, ist aber doch eine Ü berlegung wert, erwägt man die über 6000 Kilometer, die der Stein auf deutschen Straßen und Autobahnen zurücklegt. Es ist sicher schwierig, die Ökobilanz eines christlichen Steins mit der Bilanz von kreuz und quer durch Deutschland rollenden Joghurtbechern zu vergleichen. Dennoch bleibt die Frage offen, warum gerade im Fall der Joghurtbecher an die Verantwortung gegenüber der Schöpfung appelliert wird, bei einem christlichen Stein sich aber scheinbar keiner daran stört. Denn wichtig ist den Initiatorinnen vor allem, was der Stein bei uns auslöst. Denn nach eigenem Bekunden wirft gerade der Stein durch seine Präsenz und sein Gewicht die Frage auf: "Wer wird den Stein wegrollen?" "Denn in der Konfrontation mit diesem Stein lässt sich unmittelbar erfahren, dass sich in und durch Versteinerungen hindurch das Leben neu eröffnen kann." Ich weiß, es ist unredlich aus irgendwelchen Beipackzetteln zu zitieren und das auch noch aus dem Zusammenhang gerissen. Eventuell kann sich der Leser aber auch darüber freuen, dass ihm mehr von dieser Banaltheologie erspart bleibt. Wer sich ausgiebiger darüber informieren will, dem empfehle ich die Website des Steins (www.der-stein.de). Hier berichten unter anderem im monatlichen Wechsel "12 Frauen der Kirche" über ihre Erfahrungen, die sie mit dem Stein gemacht haben. Alle Frauen, die sich bisher über den Stein Gedanken gemacht haben sind professionelle Christinnen und arbeiten als Verantwortliche bei der Kirchenseelsorge. Bemerkenswert ist auch die umfangreiche Liste der Unterstützer, die von etlichen Banken und Sparkassen bis hin zur Volkswagen AG reicht. Die Frage, wo denn der Stein nach seiner Deutschlandtournee aufgestellt wird, beantwortet mir mein Info-Faltblatt mit dem Hinweis auf das Zisterzienserinnen Kloster Helfta bei Magdeburg, einem Ort mittelalterlicher Frauenmystik. Der Stein wird dort Ostern 2001 aufgestellt. Damit wird er dann im wörtlichen Sinn zu einem Denkmal werden. Nur für was? Für seine Deutschlandtournee und die Menschen, die der Stein, Kraft seiner Masse, zum Nachdenken gebracht hat?

Um bei christlichen "Kunstprojekten" zu bleiben, möchte ich noch von einem bemerkenswerten Denkmal der Ordensleute für den Frieden berichten. Mit etwa einem Hunderttausendstel des materiellen Aufwands haben sie ein Apfelbäumchen direkt vor der Deutschen Bank in Frankfurt gepflanzt. Geplant war die Anbringung einer Plakette am Rand der Betoneinfassung der Grünanlage mit der Aufschrift: "Den Opfern der Verschuldung". Bedauerlicherweise bestand diese Plakette nur 2 Stunden, bevor sie von der Bank wieder abgemeißelt wurde. Jetzt trägt das Bäumchen einen dünnen weißen Plastikstreifen, der um ein Ästchen befestigt ist, mit der gleichen Widmung. Manchmal stehen ein paar Blumen davor, die in einer halb eingegrabenen, ehemaligen Fruchtsaftflasche stehen. Und Pater Böckermann schaut auf seinem Weg vorbei und hängt dem Bäumchen hin und wieder ein Pappschild um, worauf mit blauem Filzstift geschrieben steht: "Den Opfern der Verschuldung". Das Bäumchen ist für die Initiatoren ein Zeichen der Hoffnung und erinnert an ein Lutherwort: "Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen." Das Bäumchen ist entgegen der Meinung der Deutschen Bank, die es als einen Beitrag zur Verschönerung ihrer Grünanlagen sieht, für die Ordensleute ein Mahnmal für die Opfer der Verschuldung.

photo credits: Florian Haas, Martin Schmidl

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