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Interview with Ingo Rusche on his hometown Tornitz, a small village near Magdeburg. Ingo Rusche tells us about his youth in the GDR, when he was a successful player of "faustball". Due to his sporty abilities, he was prepared for a leadership position (since the 14th year of his life) at military training camps, each of them lasting several weeks. Ordering about his fellows he felt like a bastard. Later as a conscientious objector he writes in his argumentation against military service that he had been long enough at war with the invisible. After that he tells us about the closing of big parts of the East German industry after the reunification, referring in particular to the area around Tornitz and his personal experiences with unemployment. In order to find work as a metalworker he took a job in East Friesland last year. However, he had to work six and sometimes even seven days a week and did not have any time for his music anymore (the heavy-metal-band "Gelbkreuz"), and so he quit the job and went back. Because of the name "Gelbkreuz" (which is a poison gas that was used in World War I), the Magdeburg youth welfare department suspected his band of neo-nazi activities though it was a misunderstanding. Ingo Rusche comments on the radical right-wing tendencies among young people in Sachsen-Anhalt: "Half of them have a rightist body of thought and a quarter of the half are right-wing radicals. The other half already have the views and a big part is going to join in if things don't get better." He accuses Western concerns of having closed East companies because of competition instead of renovating them. Being asked whether the situation has improved now in contrast to the time before the reunification of both German states, Ingo Rusche thinks: "Everything has remained the same. Some things have just been shifted a bit. Now I have the freedom to travel and I'm not locked up any more, but I still haven't been in Spain. At the moment this is just beyond my means." Replying to the question of the state security service's spying of the village population he tells us: "Here in the village two or three people belonged to the 'stasi'." His answer to the question if anybody has been settled after all is "partly yes. It is told that somebody has been smacked and the others are simply avoided."

Ingo: Ich bin in Tornitz aufgewachsen, hatte hier meine Jugendweihe und war in der GST Sportschießen. Als wir 14 waren, sind wir im GST Lager militärisch ausgebildet worden. Was ist die GST? Ingo Rusche: Gesellschaft für Sport und Technik, Zivilverteidigung hieß das damals. Man hat dort wie beim Bund die Grundausbildung gemacht und das schon mit 14 in der achten Klasse. Es ging zwei Wochen ins Lager mit Tarnen, Rumkriechen und KKPM schießen. Das Gewehr ist genau wie die Kalaschnikow aufgebaut. Ich habe erst später richtig begriffen was die so gemacht haben. Da ich im Sportschießen bei der GST war, bin ich im Lager gleich Gruppenführer gewesen. Daß ich Gruppenführer werde mit einem roten Balken und sechs Leute unter mir habe stand von vornherein fest. Wenn ich die anderen rumkommandiert habe, fühlte ich mich als Kameradenschwein. Bei der Verweigerung (Wehrdienstverweigerung nach der Wende) hab ich nur eine Seite voll geschrieben. Einige haben gesagt:" Das kommt bestimmt zurück." Ich hab aber das mit der GST reingeschrieben, so nach dem Motto:" Ich habe schon genug Krieg gegen die Unsichtbaren geführt." Was für eine Lehre hast du gemacht? Ingo Rusche: Schlosser im SKET in Magdeburg. Gibt es das noch? Ingo Rusche: 20 Mann arbeiten dort noch zum aufräumen. Sonst ist alles platt. Das Gelatinewerk in Tornitz ist auch nicht mehr da. Die haben Fotogelatine und sonst noch alles Mögliche gemacht. Die Knochen kamen aus Indien und anderswo her. Da lagen rießige Knochenberge voller Möwen. Immer wenn es Westwind gab hat es gestunken. Es ist auch öfters was kaputt gegangen und dann sind ein paar tausend Liter Säure in die Saale geflossen. Das war alles marode. Bei den Betrieben ist mir klargeworden, daß es nach der Vereinigung nach dem Prinzip lief:" Besser jetzt gleich kaputt machen, denn jetzt fällts nicht auf. Dann wird die Konkurrenz gleich ausgeschlossen."

Hast du einen Job?

Ingo Rusche: Nein, zur Zeit nicht.

Was machen jetzt die Leute, die arbeitslos geworden sind?

Ingo Rusche: Tja, man versucht sich selbstständig zu machen aber das ist ja mit hohem Risiko verbunden.

Gehen hier viele aus der Gegend weg?

Ingo Rusche: Gibt es auch. Es gibt schon einige, die weg sind. Aber wenn man ein Haus hat, dann überlegt man sich das.

Wie war das, hier aufzuwachsen?

Ingo Rusche: Früher gabs keinen Jugendklub. Da haben wir uns immer an der Bushaltestelle getroffen und sind den Leuten nachts auf den Keks gegangen. Ja, wenn man nichts weiter zu tun hat. Kein Tischtennis, kein garnichts. Im Sommer haben wir Fußball gespielt oder wir haben uns am Damm getroffen. Wie es halt so ist, wenn da Mopeds stehen und rumgesoffen und rumgegröhlt wird.

Sind die Jungs und Mädchen aus Tornitz mit einander gegangen?

Ingo Rusche: Hier Mädchen zu haben war schwierig, weil es da immer Zwistigkeiten untereinander gab. Größtenteils hat man Freundinnen von außerhalb gehabt. Ich sag mal, es gab hier nicht soviel guten Nachwuchs. Es waren vereinzelt so ein paar Schönheiten da, aber die waren dann schon vergriffen. Am Wochenende ist man meistens nach Barby in den "Rautenkranz" gegangen, wo Disco war. Meine typische Wochenend-Tour war nachmittags um halb drei mit dem Bus in die Disco zu fahren, denn die fing damals im Osten immer um 6 Uhr an und um 9 Uhr sind wir teilweise wieder nach Hause gefahren. Jetzt ist jalles irgendwie später in die Nacht verlagert. Im Osten ging das alles früher los. Auch die Arbeit hat eher angefangen. Um halb sechs war Arbeitsbeginn. Da mußte ich hier um halb drei aufstehen und mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren um dem ersten Zug zu bekommen. Ein Moped konnte ich mir nicht leisten, denn im ersten Lehrjahr gab es nur 85 Mark im Monat. Das hatte ich in einer Woche schnell versoffen. Das Bier hat aber auch nur 40 Pfennig gekostet. Also das ging.

Beim Trinken wart ihr immer gut dabei?

Ingo Rusche: Es gab ja nichts anderes. Nicht so wie drüben, daß ihr heimlich gekifft habt.

Wie ist euer Bandname?

Ingo Rusche: Gelbkreuz.

Nach diesem Kampfgas?

Ingo Rusche: Ja. Im Jugendamt in Magdeburg haben sie mal behauptet wir wären eine rechtsradikale Band. Wir mußten uns dort verantworten, aber das war alles nur Pille Palle. Die kannten sich nicht aus. Im 2.Weltkrieg wurde überhaupt kein Gelbkreuz eingesetzt, das war im 1.Weltkrieg. Wir haben ein Lied über Gelbkreuz gemacht und den Text haben wir denen auch gegeben. Die haben sich aber nie bei uns entschuldigt.

Gibt es hier viele Jugendlichen, die mit der DVU sympatisieren?

Ingo Rusche: Die Hälfte hat rechtes Gedankengut und von der Hälfte sind ein Viertel rechtsradikal. Die andere Hälfte hat es im Kopp und ein großer Teil wird noch dazu werden, wenn es nicht besser wird, schätz ich mal. Sei es Protestwählen oder aus Unwissenheit. Der ganze Mist bleibt ja in den Köpfen und heutzutage wird in den Schulen leider nicht mehr so aufs Dritte Reichs eingegangen wie im Osten. Wehe du hattest mal irgenwo ein Hakenkreuz hingemalt, bloß zum ausprobieren wie es so geht. Da warst du kurz vorm Heim. Die hätten dich ins Schwererziehbaren-Heim gesteckt, wenn nicht sogar erst mal auf Rotlicht gedreht. Das ging ganz schnell. Bei ein paar mal Schule mit einer gewissen Regelmäßigkeit bummeln, haben sie den Eltern das Sorgerecht entzogen.

Gibt es auf dem Dorf Skinheads?

Ingo Rusche: Nein, das sind wirklich nur die, die hardcore drauf sind. Die rennen dann mit Bomberjacke und Springerstiefeln rum. Ansonsten sehen die meisten ganz normal aus. Die Leute sind ja größtenteils ganz normale Stinos.

Stinos?

Ingo Rusche: Stinknormale. (lacht) Die haben keine Lust auffällig zu sein, weder in die eine noch in die andere Richtung.

Du meinst die wählen einfach nur Rechts?

Ingo Rusche: Die wählen einfach nur und hauen auch kräftig.

In ihrer Freizeit dann? Ingo Rusche:

So ungefähr, Freizeitschläger. Ja, jetzt hier in Magdeburg. Wenn man es drauf anlegt, kann man auch hier deswegen überall ein paar auf die Fresse kriegen. Also Rechtsradikale findet man hier überall. Auf dem Dorf schätz ich bestimmt sechs Mann, die da eher mitmachen.

Was ist denn der Unterschied zwischen euch damals und denen, die heute in dem Alter sind?

Ingo Rusche: Die sind auf eine Art intelligenter als wir und haben andere Werte. Heutzutage ist für die meisten schon klar, daß sie irgendwann mal Abi machen. Wir hatten die Einstellung: Abitur machen die, die studieren wollen und nach 10 Jahren ist die Scheiß-Schule endlich zu Ende. Mit einer Lehrstellen war damals alles gleich klar. Du hast nicht unbedingt das gekriegt was du wolltest, aber es stand dir eine zu.

Du arbeitest viel mit deinem Kollegen zusammen?

Ingo Rusche: Mit meinem Kumpel, Mathias Engel, mit dem ich zusammen aufgewachsen bin. Wir kennen uns seit dem sechsten Lebensjahr. Wir haben die gleichen Interessen und verstehen uns da blind. Er spielt Schlagzeug, ich Baß. Wir schreiben auch in Zusammenarbeit Gedichte und ähnliche Sachen.

Ich hab das Gefühl es spielt sich im Dorf alles hinter den Steinfassaden ab?

Ingo Rusche: Die sind hier nicht so für Zäunen. Hier ist alles ein bißchen vermauert. Auch die Höfe. Der Nachbar sieht nix.

Passen sich die Leute heute mehr an?

Früher war alles ein bißchen anders. Die Busse und Züge sind den Schichten angepaßt gefahren. Alles war in Bezug auf Arbeit mehr organisiert. Die Leute haben sich angepaßt. Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig. Gerade in dieser Gesellschaft muß man sich volle Hacke anpassen. So ein bißchen gegen den Strom schwimmen geht vielleicht noch, aber man muß genauso mitspielen wie im Osten. Im Osten haben die Leute auch nur mitgespielt. In den Köpfen sah es ganz anders aus. Es gab einige wenige, die eine volle rote Meinung hatten und das hier für das richtige, ultimative Staatssytem hielten.

Was muß man heute machen um mitzuspielen?

Ingo Rusche: Das typischste ist für mich immer die Schwierigkeit umzudenken und die Logik außer acht zu lassen. Da reicht es schon, wenn ich zum Arbeitsamt gehe. Wegen 5 Minuten sitze ich 3 Stunden. Oben muß ich eine Marke ziehen und krieg dort gesagt, daß sie nichts für mich haben. Dann heißt es, naja, gehen sie mal runter und setzen sich unten in die Leistungsabteilung. Ich ziehe nochmal eine Marke und setze mich nochmal hin und warte wieder bis ich dran bin. Das passiert heutzutage im Zeitalter des Computers. Wenn du das vorne reingibst, dann macht das Ding klick, bubbs und der gibt die Information aus. Die könnten sich untereinander so vernetzen, daß das funktioniert. So etwas empfinde ich als Schikane. So erhalten sich wahrscheinlich auch Arbeitsplätze, wenn man die Leute einfach hin-, und herschickt.

Was hat sich im Alltag verändert?

Ingo Rusche: Du hast tausendmal das Gefühl, daß du beschissen wirst. Zum Beispiel diese dummen Dinger: "Du kriegst hier von mir einen Block und dazu schenk ich dir einen Kugelschreiber." Den Kugelschreiber hast du schon mitbezahlt. Solche Dinger, so richtig auf Dummfang nach dem amerikanischen Prinzip. Ich schätz mal, das war früher drüben auch nicht so schlimm.

Für uns hat sich das so dargestellt, daß die meisten das hier so wollten!

Ingo Rusche: Ja, was du nicht kriegst, daß du nicht hast. Das ist doch klar. Wenn ein Westpaket gekommen ist, da hätte die Schokolade hundertprozentig genauso schmecken können wie eine Sorte von uns. Du hättest trotzdem gesagt die schmeckt besser weil sie bunter, schöner und besser verpackt ist. Bis auf eine Ecke unten bei Dresden konnten alle Westfernsehen gucken. Die haben extra die Funktürme so gedreht, damit das ordentlich rüberballert. Ich hab mich nie für Bananen interessiert. So was gab es hier alle Jubeljahre mal, wenn sich was verirrt hat und dann nur auf Zuteilung. Aber ich hatte auch Verwandte in Osnabrück und die haben immer an Weihnachten ein Paket geschickt. Da hab ich mich wie Sau drauf gefreut .

Findest du die Situation jetzt besser oder schlechter oder ist es eine Andere?

Ingo Rusche: Es ist gleichgeblieben. Ein bißchen von dem was früher schlecht war, ist besser geworden und ein bißchen was das gut war, ist schlechter geworden. Ich habe jetzt Reisefreiheit und bin nicht mehr in diesem Land eingesperrt. Ich bin deswegen aber auch noch nicht in Spanien gewesen. Dazu habe ich jetzt einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten. Früher war es eine Frechheit, daß die Leute das nicht durften. Die Stasi war gut organisiert. Du hattest, sagen wir mal, ungefähr einen Stasi-Spitzel für 20 Leute. Hier auf dem Dorf waren auch zwei, drei Leute in der Stasi.

Gab's da anschließend Abrechnungen?

Ingo Rusche: Teilweise schon. Einer hat wohl mal eine geklatscht gekriegt und den Anderen geht man halt aus dem Weg.

photo credits: Florian Haas, Martin Schmidl

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