AUS DER NACHBARSCHAFT
deutsch
From the neighbourhood - Summary
"Perhaps he wanted to demonstrate what would hapen if they don't care."
In
the following article Mrs. Jahn is telling the story of the Becker
family. The families Jahn and Becker used to live in the same street
for almost 30 years until Elisabeth Becker moved to a home for senior
citizens in 1994 and Anton Becker in 1996. Between 1990 and 1996 Mrs.
Jahn helped the Beckers with the daily housework and with the nursing
of Mrs. Becker. In the beginning she spent one hour daily helping
the family, later half a day and at the end, 10-12 hours daily.
Mrs. Jahn describes the developement of the family Becker, after it
became obvious that the mother was sick and needed to be cared for.
The father wasn't able to care for her by himself. In this situation
the parents hoped for the help from their children and offered that
one of them could move back to their home to support the parents.
After long deliberation the youngest son with his wife and two children
agreed to move back. Shortly after, the mother got the diagnosis of
Alzheimer desease. From then on the family situation became more and
more unbearable and finally escaleted after 6 years.
One night after the son had made it very clear to his father that
he and his wife couldn't be responsible for the mothers care also
during the night the mother fell out of bed. The father couldn't lift
her anymore by himself but also didn't want to call his son for help.
So he left his wife lying on the floor. When Mrs. Jahn found the old
woman in front of her bed in the morning she asked the daughter in
law and the son for help. The son reacted completly upset about the
situation and said that in an emergency situation like this one he
should have been called. From then on he forbid his wife even contact
with his parents. Soon after the son and his wife left the house and
didn't see the father and mother again.
Frau
Jahn erzählt aus
der Familiengeschichte der Familie Becker. Die Familien Jahn und Becker
wohnten fast 30 Jahre in einer Strasse bis Elisabeth Becker 1994 und
Anton Becker 1996 ins Altersheim kamen. In den Jahren von 1990 bis
1996 half sie der Familie Becker beim Verrichten der alltäglich
anfallenden Arbeiten und bei der Krankenpflege von Frau Becker. Elisabeth
Becker wurde 1919 geboren. Die Eltern waren Landwirte und lebten in
armen Verhältnissen. Sie war die älteste von vier Geschwistern.
Ihre Mutter war schwer krank, und sie musste sie schon in der Schulzeit
pflegen. Sie war an das Bett gefesselt, bei vollem Bewußtsein.
Elisabeth war schon etwa 30 Jahre als sie heiratete, ihr Ehemann war
Landwirt. Um die Hochzeit herum, kurz vor und kurz danach, sind beide
Mütter gestorben, die Mutter und die Schwiegermutter von Elisabeth.
Gerade auch wegen der kranken Mutter hatte Elisabeth erst so spät
geheiratet, weil sie vorher das mit der Mutter nicht richtig untergebracht
hätte. Dann wohnten die beiden frisch Verheirateten im Haus ihrer
Schwiegereltern, zusammen mit dem zurückgebliebenen Schwiegervater.
In diesem Haus wohnte sie dann ihr ganzes Leben lang. Die Wohnverhältnisse
waren sehr beengt; sie hatten drei kleine Dachräume und die Küche
Zwei weitere Zimmer im Erdgeschoss bewohnte der Schwiegervater. Die
Toilette befand sich im Hof, ein Bad gab es nicht. Es werden dann
kurz hintereinander sechs Kinder geboren, zwei Mädchen und vier
Buben. Die beiden waren ja schon älter, dann die sechs Kinder
und kein Platz, nicht viel Geld, das war ja nicht so, dass man sich
da hätte ausbreiten können. Die Elisabeth hat später
oft gesagt, sie hätte sich sehr gewünscht, dass der Schwiegervater
einen Raum für die Familie abgäbe, aber das hat er nicht
gemacht. Sechs Kinder und ein Sohn davon behindert, das war der Clemens,
der dann am Schluss im Haus wohnte. Irgendwann sprach sie davon, dass
viele Leute auch ein bisschen dumm geguckt haben oder Bemerkungen
darüber machten, dass sie so viele Kinder gekriegt haben, "aber
ich war stolz drauf" hat sie gesagt. Als die Kinder aus dem Haus waren
und selbst ihre Familien hatten, kamen sie oft Sonntags noch heim,
Elisabeth hat dann Kuchen gebacken, die Familie versammelt; sie hat
sie versorgt und auch in der Weihnachtszeit für die Kinder Plätzchen
mitgebacken. Eines Tages waren dann der älteste Sohn Karl, seine
Frau und ihr gemeinsames Kind spurlos verschwunden. Er hat noch eine
Nachricht hinterlassen, in der stand, dass er nicht will, dass Nachforschungen
über seinen Aufenthaltsort angestellt werden. Er war einfach
verschwunden und die Eltern haben acht Jahre lang nichts von ihm gehört.
Das war eine schlimme Zeit für sie. Auch die Schwiegereltern
wussten nichts. Nach acht Jahren kam aus Canada eine Nachricht. Er
würde mit seiner Familie dort leben. Zwischen dem Sohn und den
Eltern gab es später dann noch Briefkontakte und einmal sind
sie auch auf Besuch nach Deutschland gekommen. Das ging aber auch
nur, weil der Vater die Reise bezahlte. Der zweite Sohn Volker, ein
Bankkaufmann, kam durch ein Kreditgeschäft in große finanzielle
Schwierigkeiten. Er gewährte inoffiziell einen Kredit, der dann
aber platzte. Den musste er dann aus eigener Tasche zurückzahlen.
Dadurch kam er in solche Schwierigkeiten, dass er seinen Vater bitten
musste ihm da raus zu helfen. Der hatte gerade einen Acker verkauft,
so dass Volker quasi als vorzeitiges Erbe das Geld bekam, um aus dem
Schlamassel zu kommen. Der Sohn hat dann, so wie sein Vater mir erzählte,
lange noch getrunken und musste auch für einige Zeit in die Psychiatrie,
bis er sich wieder erholt hatte. Seine Ehe wurde später geschieden.
Der dritte Sohn Burkhard war immer irgendwie problematisch, war sehr
verschlossen, hat mit der Berufsausbildung immer wieder Schwierigkeiten
gehabt, hat die Ausbildung immer wieder abgebrochen und kam nie richtig
weiter. Später hat er Krankenpfleger gelernt und dann auch als
Krankenpfleger gearbeitet. Er heiratete auch eine Krankenpflegerin.
Die beiden hatten zwei Kinder und auch diese Ehe wurde später
geschieden. Die älteste Tochter war auch verheiratet, hatte ein
Kind und war immer berufstätig. Sie war finanziell unabhängig
und kam gut zurecht. Die jüngste Tochter Hildegard war ebenfalls
verheiratet, hatte zwei Kinder und war auch von den Eltern unabhängig.
Die beiden Töchter haben das Leben irgendwie gepackt, während
die Söhne immer Schwierigkeiten hatten. Der jüngste Sohn
Clemens, war von Geburt an spastisch behindert in dem Maß, dass
er eben laufen konnte, der eine Arm war gelähmt, ebenso das Bein
ein bißchen. Beruflich hat Anton Becker sich in den 15 letzten
Arbeitsjahren noch einmal verändert. Er fand in der Verwaltung
einen Job, ich denke ,es war so ein Hilfs-Job. Was er genau gemacht
hat, weiss ich nicht. Er kam sich da sehr wichtig vor, weil er mit
"wichtigen" Leuten zu tun hatte. Er meinte immer einen großen
Einfluß zu haben. Seine Frau hat das nicht so ernst und wichtig
genommen. Sie sagte dann immer: "Was kannst du da schon erreichen?"
und das war auch wahrscheinlich so. Ich glaube, er hat sich da wichtiger
gefühlt als er war - und das war wohl auch sonst so. Als der
Vater in den Ruhestand geht, kann er seinem jüngsten Sohn Clemens
seine Stelle in der Verwaltung vermitteln. Der Sohn heiratet eine
Frau, die eine Tochter von zwei Jahren mit in die Ehe bringt, und
bekommt mit dieser Frau noch einen Sohn. In den späteren Jahren
war es immer der Wunsch der Beckers, dass doch eines der Kinder in
der Nähe sein möchte und am besten ins Elternhaus ziehen
würde. Dazu hatten sie ihren Kindern auch Vorschläge gemacht,
unter anderem dass einer vielleicht das Haus übernehmen könnte.
Die beiden Töchter hatten eigene Häuser, die wären
da eh nicht in Frage gekommen. Der eine Sohn war in Amerika. Es ging
also um die drei Söhne und keiner von ihnen konnte sich zunächst
entschließen sich auf den Plan des Vaters einzulassen. Es wurde
immer mal wieder angesprochen, aber ohne bauliche Veränderungen
wäre das sowieso nicht möglich gewesen. Es fiel also lange
keine Entscheidung und erst nach längerer Zeit läßt
sich der jüngste, behinderte Sohn darauf ein. Die Mutter zeigt
inzwischen schon sehr starke krankhafte Veränderungen, besonders
in ihren Gedächtnisleistungen. Die Diagnose Alzheimer war allerdings
noch nicht klar. Es wurde aber immer dringender, dass eines der Kinder
einzieht, weil es absehbar war, dass die Eltern bald Hilfe brauchen
werden. Clemens und seine Frau dachten natürlich daran, dass
sie aus ihrer Situation heraus nie zu einem Haus kommen würden,
die waren auch nicht reich; er arbeitete in der Verwaltung und seine
Frau ist ins Büro arbeiten gegangen. Wie gesagt, aus eigenen
Kräften wären die kaum auf einen grünen Zweig gekommen.
Da haben sie sich sicher gedacht, gut wir probieren das, wir übernehmen
das Haus und übernehmen die Pflege und manchmal hat man ja Glück
dabei. Wenn das eben nicht zu lange dauert, dann hätten sie ihr
Häuschen gehabt. Jeder hat sich dabei etwas ausgerechnet: die
Eltern haben sich gedacht, da ist jemand, der für uns sorgt.
Nach langem hin und her kam es dazu, dass sie einen Vertrag abschlossen,
in dem der jüngste Sohn das elterliche Haus zu einem günstigen
Preis übernimmt und dafür die Pflege der Eltern zusichert.
Das wurde vertraglich geregelt. Haus gegen Pflege. Er musste seine
Geschwister ausbezahlen. Daraufhin wurde das Dachgeschoss entsprechend
hergerichtet. Die Tochter der beiden war damals 18 Jahre alt und der
Sohn war glaube ich 12. Das Dachgeschoss wurde also ausgebaut, das
waren so ungefähr 50 qm und im Dachgiebel konnten sich Clemens
und seine Frau ihr Bett hinlegen. Die Tochter ist dann bald wieder
ausgezogen, so dass beide noch mit ihrem Sohn dort wohnten. Die Eltern
veränderten ihre Wohnverhältnisse nicht. Für die junge
Familie entsteht eigentlich nur wenig Wohnraum und Geld für den
Ausbau und die Auszahlung der Geschwister müssen sie bei der
Bank aufnehmen. Ich meine, sie hatten noch einen kleinen Bausparvertrag,
der fällig wurde, aber das war auch nicht viel. Die Frist für
die Auszahlung der Geschwister war, meine ich, auf zehn Jahre angesetzt.
Die Finanzplanung war dabei so ausgedacht, dass die halbtägliche
Arbeit von Clemens Frau notwendig war, um das Vorhaben zu finanzieren.
Am Anfang sind alle Beteiligten noch guter Dinge. Es wird geplant
die elterliche Küche gemeinsam zu nutzen. Es war ja auch so,
dass Elisabeth in der Küche nicht mehr so arbeiten konnte wie
gewohnt. Da musste das sowieso die junge Frau übernehmen und
da war es eben so gedacht, dass sie gemeinsam in einer Küche
rumwurschteln. "Oh, das ist doch sicher schön, wenn man das gemeinsam
macht", sagte die Elisabeth. So sind sie es angegangen. Das mit der
gemeinsamen Küche war dann später nicht mehr möglich,
da es zwischen den jungen Leuten und dem Vater immer mehr zu Reibereien
und Streitigkeiten kommt. Anton ist nach wie vor sehr eigen, unflexibel,
zwanghaft und hypochondrisch, so habe ich das immer gesehen. Die Krankheit
seiner Frau schreitet ständig fort und wird auch bald als Alzheimer
diagnostiziert. Die jungen Leute gehen sehr liebevoll mit der Mutter
um, sind aber zeitlich zunehmend überfordert. Anton ist ebenso
überfordert und sucht nach Hilfskräften für den Vormittag,
wenn die junge Frau berufstätig ist. Die Schwiegertochter kommt
nach der Arbeit nach Hause und macht dann das am Vormittag von den
Hilfskräften, oft in Gemeinschaft mit Elisabeth, vorbereitete
Essen. Salat putzen und Kartoffeln schälen konnte Elisabeth zu
diesem Zeitpunkt noch. Die junge Frau isst dann mit den Eltern und
ihrem Sohn, der von der Schule kam, wobei sie bald schon Elisabeth
beim Essen helfen und dabei auch viel Zeit investieren musste. Dann
hat sie das Geschirr gespült und Elisabeth hat noch einen kurzen
Mittagsschlaf gemacht. Später ging auch das nicht mehr, weil
Elisabeth nicht mehr zur Ruhe zu bringen war. Nach dieser Mittagsruhe
hat die Schwiegertochter die Mutter für einige Stunden übernommen,
damit Anton eine Ruhepause hatte und Einkäufe machen konnte.
Da hat er auch sehr dran gehangen. Da kam er eben ein bischen raus
und unter die Leute - und bestimmte Sachen, die hat sowieso nur er
gemacht. Am frühen Abend gibt die Schwiegertochter die Mutter
immer wieder bei ihrem Mann ab, um dann noch ihre eigenen Arbeiten
zu erledigen, die für ihren Mann und ihre Familie. Die Abendzeit
gestaltet sich zunehmend schwieriger, so dass der Anton auch hier
nicht mehr alleine zurecht kommt, und es kommt immer mehr zu gegenseitigen
Vorwürfen und Aufrechnereien, wer was noch leisten müsste.
Es kommt so weit, dass die jungen Leute und der Enkel nicht mehr mit
dem Großvater sprechen. Die Schwiegertochter macht zwar noch
das Essen der Großeltern fertig, nimmt aber Elisabeth dann zum
Essen mit in ihre Wohnung und kocht dort für die eigene Familie.
Der Sohn war durch seine Behinderung, die er nie richtig verkraftet
hat, psychisch nicht sehr stabil. In Stresssituationen war er sehr
cholerisch. Es kam vor, dass er mit seiner Frau völlig außer
sich herum schrie. Wenn sie meinte dem Vater nachgeben oder sich zusätzlich
engagieren zu müssen, verbot er es ihr. Und von den Geschwistern
konnten die jungen Leute auch keine Hilfe erwarten. Einerseits, weil
sie, außer einer Schwester, alle weiter weg wohnten, andererseits
weil sie mit dem günstigen Hauspreis ihren Teil zur Hilfe als
erfüllt ansahen; zudem wären sie durch ihre eigenen Situationen
in ihren unstabilen, zum Teil schon gescheiterten Ehen nicht in der
Lage gewesen, finanziell einen Beitrag zu leisten, um fremde Hilfe
zu bezahlen. Anton hat immer in die Zeitung geschaut, hat sich Inserate
rausgesucht, in denen sich Frauen für solche Hilfe anboten, oder
hat auch selbst Inserate aufgegeben, um Leute zu finden. Manchmal
gelang das. Aber neue Probleme waren damit verbunden. Es waren immer
Frauen, die selbst in schwierigen Situationen steckten. Jemand der
es finanziell nicht nötig gehabt hat, hätte dort auch nicht
gearbeitet. Es waren immer Frauen, die keine anderen Arbeitsmöglichkeiten
sahen, die keinen Beruf hatten. Die konnte er bekommen. Da sie aber
oft aus komplizierten Verhältnissen kamen, gab es da auch manchmal
Schwierigkeiten; sie waren oft nicht sehr zuverlässig. Er musste
also immer wieder suchen. Als dann später die Mutter auch noch
am späten Abend Probleme machte, und die Zuständigkeit für
die Pflege gegenseitig eingefordert wurde, eskalierte die Situation
zunehmend. Die jungen Leute meinten, er müsste doch dieses oder
jenes noch können. Und objektiv hätte er auch alleine noch
besser mit der Mutter zurechtkommen müssen, aber da kam einfach
das subjektive Empfinden dazu: der Mann war so kompliziert und so
mit sich und seinen Empfindlichkeiten, Genauigkeiten und Zwanghaftigkeiten
beschäftigt, dass er alles einfach nicht mehr auf die Reihe bekam.
Und dann kamen die Vorwürfe: sie seien das Ganze doch eingegangen
und eigentlich müssten sie das doch jetzt leisten. Zusätzlich
gab es Vorhaltungen, weil er schon nebenher für Hilfskräfte,
die er sich suchte, so viel Geld ausgeben muss - eigentlich wäre
das ja ihre Sache. Es gab also dauernd Vorwürfe. Und die jungen
Leute, die haben auch irgendwo ihre Grenze gesehen, was ja auch normal
und richtig ist. Die wussten einfach, mehr schaffen wir nicht, mehr
können wir nicht schaffen. Es wurde immer schlimmer mit den gegenseitigen
Vorwürfen, die Spannung stieg ins Unerträgliche. Die jungen
Leute hatten dann demonstrativ abgelehnt, auch noch nachts zuständig
zu sein. "Wenn wir den ganzen Tag arbeiten müssen, müssen
wir irgendwann auch einmal schlafen", sagten sie. Nachts seien sie
nicht zuständig, das gehe nicht! Kurze Zeit später ist Elisabeth
entweder nachts aus dem Bett gefallen oder vor dem Bett gewandert
und dabei gestürzt - der Vater hat den Sohn oder die Schwiegertochter
in dieser Nacht nicht gerufen. Er konnte die Mutter nicht mehr hochheben.
Er hat sie einfach vor dem Bett liegen gelassen. Es war klar, die
kümmern sich nicht mehr darum, und es ist sowieso nicht mehr
miteinander gesprochen worden. Vielleicht wollte er auch demonstrieren
wie das läuft, wenn sie sich nicht kümmern. Er hat sie also
nicht gerufen; als ich dann morgens hin kam, lag die Elisabeth noch
vor dem Bett und alleine konnte ich Elisabeth auch nicht hochheben.
Ich bin hoch gelaufen zu den jungen Leuten, habe Bescheid gesagt und
die Schwiegertochter um Hilfe gebeten. Ihr Mann und ihr Sohn waren
auch noch da. Alle kamen runter und der Clemens schrie dermaßen
rum, völlig außer sich, und regte sich auf, weil der Großvater
sie nicht gerufen hatte und brüllte, dass es in einem Notfall
natürlich klar sei, dass man sie hätte rufen können.
Er war so außer sich, dass er auch mir noch Vorwürfe machte;
ich saß in dieser Familie immer zwischen den Stühlen. Clemens
und seine Frau haben auch später noch alle nicht mehr angesehen,
die da früher mitgeholfen haben, weil sie immer dachten, dass
alle auf der Seite des Großvaters stehen. Ich hatte den Sohn
und so eine Situation so noch nie erlebt, er stand völlig neben
sich und hatte Schaum vor dem Mund. Er hat wie wahnsinnig rumgeschrien.
Seine Frau und ich hatten die Mutter irgendwie hochbekommen, sie ins
Bad gebracht und sie dort auf die Toilette gesetzt. Er hat dann von
seiner Frau verlangt, dass sie sofort die Wohnung verläßt
und nicht mehr betritt. Sie durfte nicht länger da bleiben und
sie durfte nichts mehr in der Wohnung tun. Und mich hat er auch total
zusammengeschrien, ich weiss jetzt aber nicht mehr, was er im Einzelnen
gesagt hat. Da sagte ich: "Wenn das so ist, dann seht zu wie ihr zurecht
kommt, ich gehe fort, damit habe ich nichts zu tun." Dann bin ich
nach Hause gegangen, wusste aber nicht, was ich machen sollte. Nach
kurzer Zeit bin ich dann wieder rübergegangen, und die beiden
sind tatsächlich nicht mehr runter gekommen. Das ist eben alles
total eskaliert. Von diesem Zeitpunkt an haben die beiden nichts mehr
gemacht, haben sich sofort eine Wohnung gesucht und den Vertrag aufgelöst.
Der Großvater, der Sohn und seine Frau haben sich von diesem
Zeitpunkt an nicht mehr gesehen und nicht mehr gesprochen, selbst
nicht mehr bei der Beerdigung von Elisabeth. Übrigens ist auch
diese Ehe kurze Zeit später geschieden. Der Vertrag ist also
aufgelöst worden, so dass das Haus wieder an den Vater zurück
ging. Schon bevor das so eskaliert ist, sagten Clemens und seine Frau,
dass sie ihn auf keinen Fall pflegen werden. Das wäre also so
oder so mit dem Vertrag schwierig geworden, denn da war ja festgehalten,
dass beide gepflegt werden. Jetzt hat der Großvater aber kein
Haus mehr gebraucht, sondern Geld, um im Pflegeheim zu leben. Und
so hat der andere Sohn, Volker das Haus gekauft. Aber mit der Auszahlung
hat das auch nicht so geklappt. In dieser Familie ging es immer ums
Geld und auch jetzt noch, wenn ich den Anton ab und zu besuche, geht
es immer noch ums Geld. Für die Mutter wurde innerhalb von zwei
Wochen - das war noch ein glücklicher Umstand - durch einen Todesfall
im Pflegeheim ein Platz frei, so dass sie dort hin konnte. Bis zu
diesem Zeitpunkt war ich dann 10 bis 12 Stunden am Tag bei ihr und
habe sie auch abends ins Bett gebracht. Manchmal ging das dann noch
bis in die Nacht, weil sie große Schwierigkeiten machte. Im
Pflegeheim hat sie noch eineinhalb Jahre gelebt, aber ihr Zustand
hat sich zusehends verschlechtert. Wenn ich die Zeit rückblickend
beschreibe war es folgendermaßen: Die erste Zeit war ich nur
eine Stunde am Tag bei Elisabeth. Zeitlich immer so, dass Anton sich
morgens im Bad fertig machen konnte. Ich bin dann mit ihr spazieren
gegangen. Als das nicht mehr ausreichte war ich zwei Stunden dort,
jeden morgen, und habe dann mit ihr Kartoffeln geschält, Salat
geputzt und eingekauft. Als Anton noch weniger mit Elisabeth zurecht
kam war ich die letzten eineinhalb Jahre von Montag bis Freitag drei
Stunden vormittags dort. Samstags und Sonntags ging ich nicht hin.
Für die Wochenenden hatte er eine andere Hilfe über ein
Inserat gefunden. Auch für die Zeiten am Abend kamen noch Leute,
die er über die Zeitung gefunden hatte. Ursprünglich wollte
ich kein Geld für die Zeit, die ich da verbrachte; das aber hat
er abgelehnt und so ließ ich mir 5 DM für die Stunde geben.
Und im Nachhinein, nachdem ich sechs Jahre dort war, war ich auch
ganz froh darum, denn es war manchmal sehr belastend, was ich dort
mitgemacht habe. Anderen Hilfskräften musste er 16, 18 und Sonntags
20 DM die Stunde zahlen. Eine Studentin kam lange und wechselte sich
mit verschiedenen Frauen an den Wochenenden im Dienst ab. Einige sind
sehr schnell wieder abgesprungen und die Suche began aufs neue.
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