ABENTEUER OPTIONAL

von Peter Wächtler

English

Peter Cipra in der Wismarer Fußgängerzone

Ich treffe Peter Cipra vor dem Wismarer Hauptbahnhof, von dem er zusammen mit vier Jugendlichen, von denen sich zwei zur linken und zwei zur rechten Szene der Stadt zählen, zu einem fünfwöchigen Fußmarsch durch die Wüste Namibias aufgebrochen ist. Im Laufschritt zum naheliegendsten Caf… gibt mir Peter Cipra auch schon den Termin für seinen nächsten Aufbruch aus der alten Hansestadt: am dritten Dezember fliegt er zusammen mit einem Querschnittsgelähmten nach Namibia, um in den verbleibenden Wochen bis Weihnachten mit ihm durch die Wüste zu trampen und das Leben der Slumbevölkerung von Opuwo zu teilen. Anfang nächsten Jahres wolle er dann wieder nach Namibia, um mitten in der Wüste seine Frau das zweite Mal zu heiraten, diesmal evangelisch.

Im Caf… der Wiedervereinigungsfußgängerzone herrscht eine gedämpfte Stimmung vor, die von der massiven Bepolsterung des gesamten Mobiliars unterstützt wird. Hier beginnt Peter Cipra mit der Schilderung seiner strapazenreichen Reise mit den vier Jugendlichen Thomas und Nico, zwei unscharfen Linken, sowie den zwei bekennenden Nazis Sven und Patrick.

Namibia: eine der großen Dünen bei Sossusvlei

Das ausgerechnet diese vier sich auf Cipras Angebot hin meldeten sei eher Zufall gewesen, und habe sich einfach ergeben, so Cipra. Die vier treffen sich am Bahnhof das erste Mal, begrüssen sich kaum und werden von einer Ansammlung verabschiedet, die sich aus den Reportern der Lokalsender und -zeitschriften, sowie dem großen Freundeskreis der beiden Neonazis zusammensetzt. Aber schon im Zug nach Frankfurt wird das Verhältnis lockerer und man stellt fest, dass man sich doch bereits aus Straßenschlachten von der jeweilig anderen Seite her kennt. Vom Frankfurter Flughafen aus geht es mit einem Nachtflug nach Windhuk der Hauptstadt Namibias und von dort aus, auf dem spärlichen Platz der Ladefläche eines Jeeps, 1000 Kilometer Richtung Opuwo, der Destrikt- und Verwaltungsstadt der Region. Die nächsten Tage verbringen die Jugendlichen damit im Ort rumzugammeln, während Peter Cipra damit beschäftigt ist Esel für den Transport des Gepäcks und der Wasservorräte zu organisieren. Zu der kleinen Gruppe zählen zusätzlich noch zwei Journalisten des SPIEGELS, Uwe Buse und Mathias Jung, und der einheimische Führer Harruendo. Die fünf Wochen in Namibia sollen sich aus drei Wochen wandern und zwei Wochen Selbstversorgung in den Slums von Opuwo zusammensetzen. Nach den ersten Tagen in der Wüste ist Thomas nicht mehr in der Lage die pädagogische Reise fortzuführen, er spuckt Blut und sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. über das Satelitentelefon entscheiden Wismarer Anwälte, dass Peter Cipra auch gegen den Widerstand von Thomas für dessen Abtransport in ein Krankenhaus zu sorgen hat, ansonsten komme er auch bei schriftlichen Erklärungen von Thomas nicht aus der Haftung für dessen möglichen Tod oder Schaden heraus. Ein Freund Cipras organisiert den Abtransport des missmutigen Thomas und der beiden SPIEGEL-Leute, die erst wieder drei Tage vor dem Rückflug nach Deutschland zu der Gruppe stossen.

Formulierungen wie »... die mussten raus«, oder »raustransportieren« lassen eher auf ein Krisengebiet, als auf ein wirkliches Urlaubsziel schliessen und ein weiteres Mal wird Cipras Entfernung zum Selbstverständnis eines Sozialpädagogen deutlich. Peter Cipra ist kein Pädagoge, er ist ehemaliger Hoteldirektor, hatte dann aber keine Lust mehr auf den stressigen Beruf und arbeitet seit der Rückkehr von der Reise in der »Jugendscheune«, einer offenen Einrichtung für Jugendliche im nahegelegenen Dorf Neukloster. Wenige Tage später wird Cipra selber krank nachdem er morgens die Esel zusammengetrieben hat und es besteht Verdacht auf Malaria. Sie machen einen Esel frei, indem sie das Gepäck umverteilen und Cipra reitet weiter. Aber auch nach längeren Erholungspausen fällt er ohnmächtig vom Esel. Sven und Harruendo organisieren Cipras Transport in eine Buschklinik, wobei sich Sven unter der Führung Harruendos und dessen Marschgeschwindigkeit so verausgabt, dass er gleich miteingeliefert werden muss und neben Cipra am Tropf hängt. In der Buschklinik bleibt Cipra einen Tag, lässt sich dann in eine Privatklinik bei Windhuk fliegen und organisiert ebenfalls den Rücktransport seiner restlichen drei Begleiter in die Hauptstadt Windhoek, wo sie auch Thomas wiedertreffen, der sich wieder erholt hat und so vor der Blamage des vorzeitigen Rückfluges bewahrt wurde. Nach drei Tagen lässt Cipra sich die Schläuche wieder abnehmen und versucht einen erneuten Aufbruch Richtung Nordwesten. Das Ergebnis ist ein Rückfall und ein erneuter Aufenthalt im Krankenhaus. Sven, Thomas, Patrick und Nico wissen in der Zwischenzeit nicht so richtig was sie machen sollen und langweilen sich in Windhoek. Nach einigen Tagen, die Cipra zur Beobachtung in Windhoek bleiben muss, wird die Reise zu den Eingeborenen mit einem alten Chevrolet anstelle der Esel fortgesetzt. In den Slums angekommen verlieren die vier immer mehr die Lust, vor allem die Nazis haben kein besonderes Interesse mit der Bevölkerung zu sprechen. Die anderen haben weniger Schwierigkeiten sich zu integrieren und feiern abends mit den Einheimischen, was aber im Laufe des Aufenthaltes abnimmt. Sven und Patrick machen sich nach einigen Diskussionen in der Nacht davon um nach Windhoek zurück zu trampen, und lösen den Konflikt somit auf ihre Art, meint Cipra, und das wäre auch in Ordnung so gewesen.

Straßenszenen aus Opuwo

Er scheint ein Netzwerk von Freunden und Bekannten in Namibia zu haben, das er in den zehn Jahren in denen er das Land bereist immer weiter ausgebaut und verfestigt hat. Da er der Gruppe Adressen für den Notfall und den Rückweg in die Hauptstadt mitgeteilt hat und sich die Beiden an diesen orientiert haben, kann er deren Route nach Windhoek voraussagen und ist auch weiterhin zumindest über ihren Standort informiert. Thomas und Nico haben dagegen nun, entsprechend dem Ablauf des Projektes, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen und schlafen in einer Hütte, in der auch nichts anderes ausser den beiden reinpassen würde. Um sie realisieren zu lassen, dass das Leben in den Slums nicht gerade einfach ist, stellt Peter Cipra den beiden Linken zwei Ziegen zur Verwertung. Aus dem Erlös des Fleischverkaufes sollen sie ihren Lebensunterhalt finanzieren. Eine Ziege kostet 160 Namib Dollar ( 3 Namib Dollar = 1 DM).

Um sie auf dem Markt zu verkaufen muss sie geschlachtet, ausgenommen und abgezogen werden, danach werden die Fleischteile in Kräutern eingelegt. Erwartet wurde mindestens das Doppelte des Einkaufspreises, heraus kam ein Drittel. Nach der zweiten Schlachtung und aufwendigen Zubereitung bei 40 Grad kommen die beiden am Ende des Markttages auf 35 Namib Dollar. Trotz dieses finanziellen Misserfolges verursachen die Slums die meisten Veränderungen bei den beiden. Nicht nur, dass sie nach diesen anstrengenden Tagen nichts anderes mehr wollen als Schlafen, und laut Cipra das erste Mal das Ruhebedürfnis ihrer Eltern verstehen, auch ihre Einstellung gegenüber den schwarzen Einwohnern ändert sich. Thomas der sich geweigert hatte für »Neger« zu arbeiten, was für jemanden der sich als politisch links bezeichnet eine ungewöhnliche Aussage ist, beschliesst aus eigenem Antrieb die aufwendige Komplettrenovierung der Blechhütte eines Eingeborenen, sowie den Besuch der katholischen Messe, inclusive anschließendem Einzelgespräch mit Missionar Pater Zhabi. Der Fotograf des SPIEGELS erscheint in den letzten drei Tagen in den Slums, führt lange, in seinem Artikel unerwähnte, Gespräche mit Thomas über dessen Gefühle in der Situation und dokumentiert das befristete Slumleben der Drei. Sie fahren nach Windhoek, wo sie die beiden Skinheads wieder auflesen und fliegen zurück nach Frankfurt, von da aus mit dem Zug nach Wismar, und somit zurück in den deutschen Alltag.

Sven hat sich ein Ein-Mann-Abriss-Unternehmen aufgebaut, Patrick arbeitet auch auf dem Bau und Thomas beginnt seine fünfte Lehre zum Altenpfleger und diesmal will er die Lehrzeit auch durchstehen. Nico war bis vor kurzem der Zivildienstleistende Cipras in der Jugendscheune und macht im Moment nichts. Die vier stehen immer noch in Kontakt miteinander, telefonieren häufig. Cipra beschreibt das Verhältnis der rechten und linken Jugendlichen als kumpelhaft. Wobei die Rechten wie die Linken von zwei Ausnahmeerscheinungen im jeweils anderen Lager ausgehen, erklärt Cipra vergnügt. Um die beiden Nazis ist es ruhig geworden, keine überfälle mehr oder ähnliches. Wobei unklar ist, ob das durch die Erfahrungen der Reise ausgelöst ist oder durch den Entschluss von Sven nie mehr in den Knast zu gehen, wo er schon sechseinhalb Jahre seiner Jugend verbracht hat. Unbekannt ist auch ob die beiden ihre Wehrsportübungen an den Wochenenden noch fortführen, jedenfalls ist zu Svens dicker polizeilicher Akte in der letzten Zeit nichts dazugekommen.

Sven wird mir als einer der führenden Neonazis Mecklenburg-Vorpommerns beschrieben, der bei zahlreichen Schlägereien mitgemischt hat und nicht zuletzt über seine Jahre im Knast über gute Verbindung zur deutschen Skinheadszene verfügt, in deren Hierachie er selber einen höheren Platz belegt. Thomas hat sich während der Reise am meisten verändert, laut seiner Mutter, sei er jetzt viel motivierter in Bezug auf seine Ausbildung, aber auch im privaten Bereich ist er offener und redseliger geworden. Sein nächstes Ziel ist es Anfang des nächsten Jahres zusammen mit seiner Mutter nach Namibia zu fliegen.

Peter Cipra kann dieses Ziel sehr gut verstehen. Es scheint als würde er sein Leben in Deutschland als Unterbrechung verstehen, eine Unterbrechung die ihn zunehmend stört. Seine Rente will er hundertprozentig in Afrika verleben, und bis dahin sooft wie möglich Namibia und den Rest der Welt bereisen. Wenn er das spießige, alltägliche Leben der anderen Deutschen teilen müsste, würde er sich morgens erschiessen. Er macht eine Armbewegung in die Richtung der anderen Besucher des Caf…s, die sich gleichmässig unterhalten und langsam eher Kuchen als warme Speisen bestellen. Deutschland sei ein Graus, die Unhöflichkeit, die offizielle Unfreundlichkeit an den Flughafenschaltern, würde ihm jedesmal signalisieren, dass er wieder im ursprünglichen und falschen Heimatland ist. Die Leute regen sich hier über Sachen auf, die ihn vielleicht noch vor zehn Jahren aufgeregt hätten, nach denen er sich jetzt aber nicht mal mehr umschauen würde. Nach dem unfreundlichen Schalterbeamter, der ihn nicht nach seinem Befinden fragt, bringt er Beispiele wie das bekloppte Hupen, falls jemand nicht sofort anfährt wenn die Ampel auf Grün springt. Dem gegenüber steht die Wildnis, die gefährlichen Tiere, die Traditionen und Lendenschurze der Eingeborenen, die noch »wie in der Steinzeit« leben, die Hirten und Jäger bei denen die Versorgung mit Nahrung immer noch den Mittelpunkt der Existenz ausmacht. Und die freundlichen Fragen der Kleinhändler, die immer Zeit für ein wenig Interesse an dem deutschen Reisenden haben. Peter Cipra ist unter großen Anstrengungen zu Orten gelangt an denen noch kein Weißer und vor allem kein Tourist gewesen ist und es auch die Zivilisation schwer haben wird sich anzusiedeln. Diese Plätze seien wunderschön, aber man merke dann doch, wie langsam aber sicher die Begleiterscheinungen wie Drogen und Alkohol, in die Richtung der Eingeborenen vorrücken. Und die Privatkliniken ohne die Peter Cipra wahrscheinlich nicht überlebt hätte. Ich frage ihn was er sich von dem Versuch versprochen hat seine Begeisterung für Wildnis, für das Leben jenseits des Komforts und der Versorgung mit vier Jugendlichen zu teilen, die zuhause die Wahl haben zwischen zwei Formen der gewaltsamen Ablehnung der jugendfeindlichen Tristesse von Mecklenburg-Vorpommern. Eine andere Sichtweise, einen erweiterten Horizont und die Möglichkeit einmal ein anderes, möglicherweise toleranters Leben als das deutsche kennen zu lernen, zumal keiner der vier schon einmal wirklich verreist ist. Vielleicht auch der Anstoss, bei der nächsten Prügelei, noch einmal zu überlegen, ob das nun wirklich sein müsse.

Peter Cipra ist ein guter Erzähler. Er beschreibt mir wie man morgens um vier Esel einfängt die ausser Sichtweite sind, wie er sich ein kleines Wörterbuch für die Sprache der Eingeborenen erstellt hat, von seinem Alltag in der Wüste, von Malaria und Fieberanfällen. Das Caf… hat sich inzwischen mit alten Frauen gefüllt, die wie die Gegenillustration seiner Erlebnisse wirken. Er erzählt mir Anekdoten von den durch Sonnenbrand vereiterten Kopfhaut der Skinheads, die sie sich unter großen Schmerzen trotzdem immer wieder rasiert hätten oder wie dieselben schon nach drei Tagen für den schwarzen Harruendo Essen und Caf… gekocht haben und sich nicht zugetraut haben ihm zu untersagen ungefragt ihr Essgeschirr zu benutzen. Wie Patrick, nachdem er sich geweigert hatte mit einen Schwarzen in einem Zelt zu schlafen, am nächsten Tag dicht nebem Harruendo unter einem Baum seinen Mittagsschlaf hält. Zurück in Wismar und in ihrer alten Clique sei ihnen das natürlich wieder peinlich gewesen, damit hat Peter Cipra aber gerechnet. Er ist nicht davon ausgegangen, dass es möglich wäre Menschen wie diese Vier, innerhalb von fünf Wochen völlig umzukrempeln. Fest steht für ihn nur, dass keiner von ihnen die Erfahrungen, die sie in Afrika gemacht haben, jemals wieder vergessen würde, das dauere auch bis die das erst realisieren würden. Die beiden hätten sich aber auch merklich unwohl gefühlt in der ehemals deutschen Kolonie und in dem von der Apartheid befreiten Gebiet, deren Symbole sie neben anderen rassistischen Tätowierungen auf ihren Oberarmen tragen. Als Sven in einem Lokal von einer schwarzen Kellnerin auf seine Finger angesprochen wird, die mit der Parole Hass in dem Schriftbild der SS-Runen versehen sind, ist es ihm nicht möglich sich zu rechtfertigen und ganz selbstverständlich hilft ihm der linke Nico aus der Situation, in dem er der Frau erklärt, dass er da noch jung war und noch nicht so wusste was das alles so bedeute. Patrick wurde ebenfalls an einer Tankstelle auf das Burenkreuz auf seinem rechten Oberarm angesprochen, und habe dann auch schnell gemacht, dass er da wegkam, erläutert Cipra.

Peter Cipra beschreibt den Punkt, ab dem er versucht hat auf die zunehmende Gewalt in Wismar auf seine Art zu reagieren und diese Reise anzubieten, als den wo es einfach nur noch genervt hat, die Schlagzeilen von den Prügeleien und den überfällen auf der einen Seite, und die Unfähigkeit der Stadt, über die Auflistung der Straftaten hinweg irgendetwas dagegen zu unternehmen und zu versuchen. Trotzdem hat sich zunächst keiner für Peter Cipras Vorschlag interessiert, nicht der Wirtschaftsmnister Rolf Eggert und auch nicht die Bürgermeisterin, dann habe er es eben alleine gemacht. Für die Reise brauchte er 20.000 DM, von denen er die eine Hälfte privat aufbrachte und die andere wurde von befreundeten Geschäftsmännern und Firmenbesitzern an einen Verein gespendet, um die Spenden von der Steuer abzusetzen. Das Wismar als Stadt diese Chance nicht genutzt hat, um ihr negatives Image aufzubessern, das ihr spätestens seit dem Zeitpunkt anhängt an dem Skinheads einen Obdachlosen totgetreten haben, kann Peter Cipra nicht nachvollziehen. Das wäre die Chance gewesen für null Mark eine sehr gute PR- Leistung zu bekommen. Aber er betont auch, dass er das keinesfalls als Patentlösung versteht, sondern als einen Versuch, der nach seiner Vorstellung durchgeführt, mit Einigen funktionieren könne. Dagegen bezeichnet er die Unterstützung von präventiven Massnahmen als schwachsinnig, und die zärtliche Sonderbetreuung von Schwererziehbaren habe bei den Hunderten von Versuchen, zum Beispiel die Autoknacker in den Auslandsurlaub zu schicken, noch keinen einzigen Rückfall verhindert. Da es sich um seine Freizeit und sein Privatgeld handelt, ist er auch niemandem Rechenschaft über seine Touren schuldig, er könne mit denen auch sonstwohin wandern, wenn er sich davon etwas verspräche. Hinzu kommt, dass er auch keinem pädagogischen Konzept verpflichtet ist. Dementsprechend rauh geht er auch mit seiner Reisegruppe um, und versteht sich nicht im Geringsten als deren Animateur oder Bespaßer. Langeweile ist selbstverschuldet und somit irrelevant. Es gibt keine Diskussion über seine Entscheidungen und keine Hilfestellung zur möglichen Konfliktlösung, eingegriffen hätte er erst bei einer Eskalation, und das richtig. Das glaubt man ihm sofort und hat dabei auch keine Angst um ihn, selbst wenn alle vier gegen ihn aufgestanden wären. Eine Meuterei kam aber auch nicht vor, die vier hätten ihn vollkommen respektiert, wohl auch mit einem leicht mulmigen Gefühl, denn so ganz rund laufe er wahrscheinlich auch nicht für die, erklärt er. Konfrontationen gab es ausser dem Problem plötzlich eine Minderheit darzustellen, auch mit der Grenze der eigenen körperlichen Belastbarkeit. Warum es nicht ausgereicht hätte, die vier für fünf Wochen in den Slums leben zu lassen, sondern sie zusätzlich durch die Wüste zu schicken, begründet Cipra damit, dass ein bisschen Spass ja auch sein müsse, und dass er den deutschen Helden auch vorführen wollte, dass sie gar nicht so toll seien, wenn sie mal ein bisschen zu Fuß laufen müssten. Peter Cipra möchte ihnen etwas vorführen, sie das Leben in den Slums nachvollziehen und das Gefühl der Armut verinnerlichen lassen, um den harmonischen Umgang der Menschen jenseits der Zivilisation zu verstehen. Wenn mehr Leute dies berücksichtigten, würde man jetzt nicht wie in der Steinzeit losziehen und Afghanistan bombadieren, nur um das Gleiche zu tun, was die vorher getan hätten, erklärt er mir und wähnt sich aber auch auf diesem Gebiet allein mit seiner Meinung. Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Aussteiger und einem Aussenseiter. Peter Cipra ist ein Aussteiger der sich aktiv durch Stilisierung von dem absetzen muss, was ihn nie ausgestoßen hat.

Diese Abgrenzung wird auch aufrecht erhalten, wenn sich das Vorhandene, in diesem Fall, die Meinung Tausender von Menschen, nicht so polar verhält wie er es gerne hätte.

Er erwähnt auch nicht die langwierigen brutalen Stammeskriege in Afrika, einschließlich deren Massenmorde. Aber in den Schilderungen vom zivilisationsfernen Leben, hat das für ihn genauso wenig Platz wie für mich in diesem Moment in Wismar. Vielleicht fällt das aber auch unter sein Verständnis von Tradition, die er in gewissser Weise auch bei den Eingeborenen in der Nähe des Grenzflusses zu Angola genießt. Ein einziges männliches Gähnen reicht den Frauen des Stammes aus, um Decken auszubreiten und den Nachmittagsschlaf der Männer vorzubereiten. Man müsse mit solchen Traditionen umgehen können, und die einfach akzeptieren und das könne er auch. Genauso könne er da auch mitarbeiten und anfassen, wenn es was zu tun gäbe, das mache er dann auch ohne Probleme in seinem Urlaub. Sein Urlaub besteht also aus enormen körperlichen Anstrengungen und Arbeit, einfacher Eigenversorgung durch das Schlachten von Ziegen und aus Reaktionen auf die existenziellen Bedrohungen der menschenfeindlichen Umwelt. Er berichtet wie er Alexander von Humboldts Einbaumfahrt auf dem Orinoko zusammen mit seiner Frau wiederholt hat. Im Regenwald wäre es wunderschön, aber gleichzeitig die Hölle, 24 Stunden Moskitos, so dass er und seine Frau sich nicht mehr umziehen konnten und auch nur noch durch das Moskitonetz trinken, weil sie sonst sofort schwarz gewesen wären von den Moskitos. So wie die Kinder der Indianer. Er habe da Kinder gesehen, die hatten tiefe Löcher in den Armen und Beinen vom ständigen Kratzen an den Insektenstichen, in diesen Wunden seien Ameisen und alles mögliche drin rumgekrochen. Aber es sei ein stolzes Volk, und er ziehe den Hut vor denen, die da leben können. In Wismar bringt ihm diese Form der Freizeitgestaltung den Ruf eines Abenteurers ein, und wahrscheinlich auch anderswo.

Wir kommen nocheinmal auf seine nächste Reise zu sprechen, auf der er mit einem Rollstuhlfahrer zu den Eingeborenen trampen möchte. Die Vorbereitungen laufen schon und die beiden trainieren bereits im Wismarer Fitnessstudio. Hier möchte er den Leuten, die Behinderungen und Verletzungen haben, vorführen, dass es möglich ist, im Rollstuhl Reisen zu unternehmen, die die meisten anderen auch ohne Rollstuhl nicht hinkriegen würden. Er wolle zeigen, dass das Leben nach einer Behinderung nicht gleich vorbei sei und es sich trotzdem noch lohne zu leben. Sein Begleiter sei aber auch von einer ähnlichen Art wie er, ein wenig verrückt, der habe sich schon als Beifahrer auf den Rücksitz von Motorrädern binden lassen, fährt Marathon und macht zusammen mit Cipra Scherze über seine eigene Behinderung. Aber auch der muss für diese Reise umdenken, muss sich mit dem Körper des ab der Brust abwärts Gelähmten auskennen, und wissen, wie man in dessen Kniekehle tritt, um die spastischen Zuckungen zu unterbinden, bzw. das Bein wieder anzuwinkeln. Genauso wie es erforderlich ist, dass Peter Cipra seinen 95 Kilo schweren Begleiter auf die Ladeflächen von PickUps schmeisst und den Rollstuhl gleich hinterher, weil der ja völlig aufgeschmissen sei und nur ein bisschen mit den Armen nachhelfen könne. Da darf man keine Berührungsängste haben und auch jetzt schon gestaltet sich der Umgang mit den Behinderten ganz normal.

Für die Dokumentation der Reise sucht Peter Cipra dringend einen Kameramann der die beiden für drei Wochen begleitet. Wie der Film nachher aussehe sei ihm egal, wichtig wäre nur vielleicht noch einmal vor Abflug das gemeinsame Training in Wismar zu filmen, damit solle der Film losgehen. Ein wenig Kalkulation blinkt durch, als er mir mitteilt, dass es eigentlich kein Problem sein sollte zur Weihnachtszeit einen Film mit diesem Thema zu verkaufen. Dann muss Peter Cipra los. Sein Auto ist nicht angesprungen und muss noch in die Reperatur. Ich mache noch ein Foto von ihm in der Fußgängerzone und wir verabschieden uns.

Seine schillernden und sympathischen Schilderungen von der Wildnis, der Armut und des Körpers nehmen mich immer noch in Beschlag als ich zum Bahnhof zurückgehe. Aber schon auf der Busfahrt zur Wismarer Bucht höre ich auf zu überlegen, woher ich am schnellsten eine Videokamera leihen könnte, und bei den Plattenbauten und den Gewerbegebieten rückt die Beschaffenheit des Landes aus dem Peter Cipra so oft wie möglich aufbrechen will wieder in den Mittelpunkt. An der Ostsee angekommen hat sich die Euphorie aufgelöst. Namibia befindet sich fortwährend in einem Zustand ohne Projektion, Planung und Entwicklung, das alltägliche Gewährleisten der eigenen Existenz ist an den Körper und den Umgang mit den knappen Resourcen gebunden. Deutschland besitzt dagegen den Luxus der langfristigen Absicherung und der Konstanten, auf die jeder Einzelne bauen kann. Für diese Langfristigkeit der Perspektive steht keine Beschäftigung und keine Tätigkeit mehr zur Verfügung, die vom Zeitaufwand annähernd an diese Langfristigkeit herankommen könnte. Es entsteht der zeitliche Spielraum zum Reisen, zum Prügeln oder zur Wiederentdeckung des Körpergefühls, und man wählt in diesen Kategorien den größtmöglichen Gegensatz zum Standard. Die Reise mit den vier Jugendlichen ist als Versuch des Eingriffes anzuerkennen, der in jedem Fall eine Wirkung auf die Biographien der Beteiligten haben wird. Dieses Reisen ist das Festlegen einer räumlichen und zeitlichen Distanz, nach dessen Zurücklegung der Jetzt- Zustand eine Veränderung erfahren soll, sei es die Erholung oder die Horizonterweiterung von Neonazis. Es ist eine Projektion, eine Wenn-Dann-Rechnung der Freizeit, die den Jetzt- Zustand und die Möglichkeit diesen direkt zu verändern an die Faktoren von Ferne knüpft. Es ist fraglich, ob man die deutsche Gewalt und den Rassismus, auch nur als Thematik mit in diese Ferne nehmen kann, in diesem Fall hinter die Armutsgrenze. Für fünf Wochen soll man sich wieder dem Primären und dem Existentiellen nähern, von der Hand in den Mund und zu Fuß. Dadurch, dass diese fünf Wochen eine Option sind, genau wie der Aufenthalt im Robinson Club, bleibt die Verbindung zum Standard auch in der Armut bestehen. Somit besitzen auch die Rechenbeispiele des Ziegenverkaufes den Charakter von Pflichtkursen, die eine katastrophale wirtschaftliche Situation simulieren. Hier ist es möglich dass Skinheads für Schwarze kochen und dass Behinderte sich freiwillig weit weg von Rollstuhlrampen und medizinischer Versorgung bewegen, die keine Errungenschaften mehr sind, sondern die Symbole der mentalen Einschränkung und der Eintönigkeit. Nazis sind in der Wüste fiktiv. Jetzt, ist aber keine Wüste.

 

ADVENTURE OPTIONAL

Peter Cipra, a former hotel manager from Wismar, Germany, reacted to the increasing racial problems and violence in his hometown with quite a strange plan: He proposed to take two skinheads and two punks to Namibia, Africa, where they should go for a hiking tour through the desert, live with the poorest folk in the country and become confronted with how it feels to be the (white) minority.

Sven and Patrick Ð skinheads, and Thomas and Nico Ð ex punks, decided to join Peter Cipras on the five week trip through the desert. But things went wrong during the trip: After the first few days in the heat Thomas is unable to continue walking, he starts to feel sick and starts throwing up blood. He flies back to Namibias capital, Windhoek, followed a few days later by Peter Cipra. He is also feeling very sick and a malaria infection is suspected.

After their recovery the trip is continued Ð this time in an old chevrolet, instead of using donkeys Ð as they did for the first attempt. In the slums of Opuwo Ð a small town near the border to Angola, the two skinheads are not interested in making contact with the black inhabitants and decide to hitchhike back to the capital.

Thomas and Nico organize their life in the hard conditions of the slums, sleeping in a lousy hut. The slums change their attitude and their former opinions. »All of them won’t forget this tough trip, although it will take time, till they start to understand their experiences in Africa.

Back in Germany, as far as Peter Cipra is informed, the two skinheads did not continue their racist habit of beating up immigrants and punks, neither do Thomas and Nico still battle around with the skinhead scene of Wismar. Thomas has developed new motivation for his training to become a geriatric nurse. He plans to make another trip to Namibia Ð this time with his mother.

The main motivation of Peter Cipra to share his passion for Namibia, was the attempt to broader their horizons (none of the four had ever left germany before), and show them a life more tolerant then Wismar. In this respect, according to Cipras’ opinion, the five week trip was a success. One of the stories that he tells was that after a few days, the skinheads cooked for their black guide, Harruendo, and did not dare to deny him the use of their things. They also were confrontated with direct questions about their fascist tattoos from the inhabitants and were not able to justify themselves, and so on. …

Today, Cipra already is planning his next trip. This time he wants to travel to Namibia together with a disabled person. He wants to show all disabled that adventures are possible for anyone, even if they are confined to a wheel chair, paralysed from the chest down. They plan to hichhike from Windhoek to Opuwo living with the local community. For this trip Cipra is looking for a cameraman, to document their travel. These trips may have a positive effect on the lives of its participants, but you can not solve western problems such as the lack of orientation in a cosumer society, purely by presenting a situation of extreme poverty and expect positive survival skills. …