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NÖ.NÖÐ INITIATIVE JOSEF-HAUBRICH-FORUMRosemarie Trockel / Kathrin Luz
Spät aber nicht zu spät Ð unter diesem Motto formierte sich im Frühjahr 2002 die Initiative NÖ.NÖ, Initiative Josef-Haubrich-Forum, Köln. Anlass war der drohende Abriss des Josef- Haubrich-Forums, eines geschichtsträchtigen multifunktionalen Ausstellungsortes, in den 60er Jahren gebaut und in zentraler Lage in Köln, mit dem die »Karriere« Kölns als Kunst- und Kulturstadt eng verknüpft ist. Ausgangspunkt für die Gründung der Initiative war eine filmische Aktion der Künstlerin Rosemarie Trockel. In »Manus Spleen II« spielte sie den politischen Protest in inszenierter Form durch. Die Verschiebung von Realität und Fake waren hier künstlerische Mittel, um die Aktualität und Möglichkeiten kollektiver Willensbekundigungen in heutiger Zeit zu hinterfragen. (Auszug aus der Projektbeschreibung der Initiative Josef-Haubrich-Forum, Köln) PRO TEST Rosemarie Trockel Ð Manus Spleen II Zum Abriss freigegeben oder dramatisch gesagt: Zum Tode verurteilt. Wir sind gekommen, um zu protestieren. Wir protestieren gegen den Abriss der Kölner Kunsthalle. Wir wissen, dass es zu spät ist. Die Entscheidung für den Abriss der Kunsthalle wurde schon lange gefällt. Und auch die Entscheidung, ein neues Gebäude für die Kunsthalle an dieser Stelle zu bauen, wurde schon lange gefällt. Es ist also zu spät. Aber ist es nicht schon immer zu spät für einen Protest? Haben wir uns nicht schon lange daran gewöhnt, dass Proteste immer zu spät kommen, weil Entscheidungen, die wir mitbestimmen könnten, immer schon an Orten getroffen werden, wo nicht unsere, sondern andere stadtpolitische, machtpolitische und wirtschaftliche Interessen den Ton angeben? Warum also protestieren, wenn es eh schon zu spät ist? Eben gerade deshalb! Wir protestieren, gerade weil Protest machtpolitisch keine Rolle mehr spielt und gerade weil all die Stimmen, die zumindest in der Kölner Kunsthalle noch hier und da einen Ort hatten, keinen Einfluss auf sogenannte politische Entscheidungen mehr haben. Wir protestieren gegen die Chancenlosigkeit von Protest und dennoch und trotzdem gegen den Abriss der Kölner Kunsthalle. Was wir hier machen ist eine Überraschungsdemonstration. Eine Erinnerung an eine Form von Demonstration, die aus den 60er Jahren stammt, aus einer Zeit , in der auch die Kunsthalle entstand. Damals war die Kunsthalle ein Ort, an dem sich viele, nicht nur künstlerische Ereignisse abgespielt haben. Sie war eine wichtige Plattform für überraschende Öffnungen, Deplazierungen und für Aktionen, aus denen sich dann später das entwickelt hat, was man heute Kölner Kunstszene nennt. Wird also mit der Schließung und dem anstehenden Abriss der Kunsthalle nicht auch gerade die politische Linie der Kölner Kunstszene »symbolisch« und wirklich mitabgerissen? Ich spreche hier nicht nur als Kölner, der ich bin, und auch nicht nur als jemand, der die Bewegung der 60er Jahre gerade auch in Köln mitgemacht hat. Ich spreche für mich, als der Andere. Ich bin gar nicht gefragt worden. Ich will deshalb eine deplazierte Antwort auf eine Frage geben, die mir gar nicht gestellt worden ist. Die Frage könnte lauten: Warum hast Du nicht früher eingegriffen? Zum Beispiel als es sich abzeichnete, dass die Kunsthalle verwahrlost wird, um Gründe für Ihren Abriss zu schaffen. Warum hast du nicht Anzeige erstattet gegen diese Maßnahme? Muss nicht jede Mutter, die ihr Kind verwahrlost, damit rechnen, dass man ihr das Sorgerecht entzieht? Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Und der ist tief, sehr tief. Ich denke, wir kriegen es auch nicht mehr 'raus. Ich spreche also nicht von Hoffnung, denn es gibt keinen Anlass zur Hoffnung. Aber ich sage euch, die Katastrophe ist real, realer geht's nicht mehr. Und trotzdem fühle ich mich für euch verantwortlich. Doch wer ist der Andere? Ich bin der Andere! Ich bin der Andere im Gegensatz zu denen, die den Abriss wollen. Sie sind der Fremde! Was muss ich tun, um den Fremden zu erreichen? Man stelle sich vor: Unsere Abreisser am Horizont der Hoffnung. Ich versuche, mich in die Lage der Abreisser zu versetzen, wenn sie sich eines Tages fragen: »Wofür hat es sich eigentlich gelohnt zu leben«? Hat es sich zum Beispiel gelohnt, das Kaufhaus »Hertie« abzureissen? Der alte »Hertiekomplex« ist weg. Das war im übrigen immer mein Lieblingskaufhaus, weil ich dort alles bekam, wonach ich suchte und auch alle Minderheiten immer gut bedient wurden. Das ist nun weg, und damit auch ein Stück Stadtgeschichte. Vergessen wir nicht, dass die Inhaber des Kaufhauses »Tietz« durch die Nationalsozialisten enteignet wurden! Jetzt steht da Ð ihr braucht nur um die Ecke zu schauen Ð einer dieser unverzeihlichen, typisch Kölschen Neubauten, mit Kunsteis am Bau. Muss das wirklich immer so sein? Aber dennoch, warum spreche ich hier nicht für die Abreisser? Warum sehe ich in dem Neubau-Projekt nicht ein städtebaulich bedeutendes Highlight? Warum sage ich nicht, wie z.B. der Herr von der CDU: »Mit dem Neubau wird ein kulturpolitisch ungeheuer wichtiger Akzent gesetzt, der die Kölner Museumsmeile abrundet und eine in Europa einzigartige Museumslandschaft entstehen lässt«? Warum bin ich nicht, wie ein Journalist, des Kölner Stadtanzeigers der Ansicht, ich zitiere wörtlich: »dass keine der beteiligten Parteien zu egoistisch ihre Eigeninteressen verfolgen dürfe, um einen multikulturellen Erlebnisbereich zu schaffen, der solitäre Institute herkömmlicher Art zugunsten eines auf gegenseitige Befruchtung angelegten Dialogs überwindet«? Und warum bin ich ganz und gar nicht einverstanden, mit dem was er weiter schreibt? Ich zitiere: »Das innovative Projekt, vor allem aber dessen Realisierung, soll schließlich allen, den Bürgern der Stadt und ihren Besuchern, Freude machen. Kultur ist nichts ohne sinnliche Erfahrung. Das neue Museums- und Kunstzentrum am Neumarkt, wenn es denn eines Tages verwirklicht ist, wird Köln auch an dieser Stelle um so heller leuchten lassen. Von der städebaulichen Seite der Medaille gar nicht zu reden. Da warten wir schon lange auf den Phönix aus der Asche.« Was will uns der Journalist in seinem Event- Jargon sagen? Etwa, dass wir einfach nur gut unterhalten werden sollen? »Phönix aus der Asche« erinnert mich stark an Hollywood. Es erinnert mich auch an meinen verstorbenen Freund »River Phoenix«, der sich kurz vor seinem Tode noch mit der Bemerkung über Hollywood verabschiedete: »Fuck them all«. Will man also so was wie ein Mini-Hollywood in Köln? Ich habe gehört, so was wie »Hollymünd« gibt es hier schon? Da kann ich nur sagen: was für eine Stadtplanung auf Weltniveau. Also noch mal: Wofür ist es hier und heute zu spät? Wie steht der neue Entwurf des Komplexes »Kunsthalle Ð Kunstverein« zur Globalisierung einer Event-Industrie, die uns Begegnungen der dritten Erlebnis-Art verspricht? Und wie steht es mit dem alten Bau? Schauen wir ihn uns jetzt noch einmal an, denn bald werden wir das nicht mehr können. Dieses Haus an diesem Ort steht für ein Stück Stadtgeschichte und für ein Stück Kölner Kunstgeschichte, die immer auch eine politische Ð und nicht nur kunstpolitische Ð war. Der Architekt Lammersen hat mit diesem Haus einen Raum für die Kunst geschaffen, der sich bewährt hat. In der Kunsthalle und im Kunstverein haben Ereignisse stattgefunden, an die ich immer wieder gerne zurückdenke. Zum Beispiel die 1973 eröffnete Ausstellung von Michael Buthe oder an die hauchzarten Füße und schüchternen Hälse chinesischer Bronzen. Aber hier haben nicht nur Ereignisse stattgefunden: Diese Gebäude selbst sind Ereignisse, in denen die Geschichte der Kunst von den 60er Jahren bis heute spürbar ist. Warum also werden sie abgerissen? Jetzt könnten natürlich die Abreisser sagen: ãDas wird der neue Bau auch alles leistenÒ. Aber da sage ich: Warum ein Haus abreissen, um ein Haus zu bauen, das dann genau das leisten soll, was das alte Haus eh schon geleistet hat? Die Kunsthalle war und ist gut, so wie sie ist. Sie braucht nur ein Facelift. Dem Architekten Lammersen ist hier etwas gelungen, was selten gelingt. Ein Gebäude von zeitloser Modernität. Warum steht dieses Gebäude nicht unter Denkmalschutz? Über Jahre hat hier eine unverantwortliche und unverzeihliche Vernachlässigung stattgefunden. Wer ist eigentlich für die Verwahrlosung der Kunsthalle verantwortlich? Und Ð liebe Freunde Ð da schlage ich mir auch in eurem Namen an meine eigene Brust. Auch ich und ihr, wir haben alle nicht eingegriffen. Wir waren zu faul, zu gutgläubig oder zu borniert. Wir haben die allzu menschliche ich-kann-ja-doch-nichts-ändern-Haltung eingenommen. Wir haben den Niedergang der Kunsthalle zugelassen, weil wir glaubten, die Anstrengung lohne sich nicht. Wir haben nichts getan, nach dem Motto: Lieber die Hände in den Schoß, als ans Geschoss. Und jetzt ist es zu spät. Aber ich sage euch: genau deshalb sind wir hier. Nicht weil wir glauben, man könnte noch etwas ändern, sondern weil man immer nichts ändern kann, darum sind wir hier. Wir sind hier, weil es zu spät ist! Wir wollen auf etwas aufmerksam machen, das dennoch geändert werden müsste! Wir wollen hier an diesem Ort gegen die Unveränderlichkeit protestieren! Wir sind hier, um mit allem Nachdruck für die Veränderungswürdigkeit einzutreten! Also, meine Freunde und Mitstreiter: Trotz allem und dennoch! Und noch eine letzte Frage: Wer will eigentlich in diesen neuen Kunstpalästen ausstellen? Die Künstler Querstrich ÐInnen, die doch eigentlich ein anderes Anliegen haben? Oder die Kuratoren und Direktoren? Oder der Bürgermeister? Ich möchte Ð vor allem für die Vertreter der Presse und der Medien Ð noch hinzufügen, dass ich meine Worte nicht auszugsweise zum Abdruck freigebe. Entweder sie veröffentlichen alles oder nichts. Lieber in einer Kunst des Verschwindens verschwinden, als immer wieder Ð wie wir das ja auch schon gewohnt sind Ð bruchstückhaft entstellt zu werden! Wer sich für diesen unmöglichen Protest einsetzen will, den bitte ich, sich in die ausliegenden Listen einzutragen. Ich danke für euer Kommen. (Aus dem Katalog PRO TEST, Rosemarie Trockel Ð Manus Spleen II, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, ISBN 3-88375-604-0) Nachtrag: Am 7. Oktober 2002, wurde das Josef-Haubrich-Forum von Mitgliedern der Initiative besetzt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Entkernung des Gebäudes hat mittlerweile begonnen, der endgültige Abriss steht noch aus.
Nö.Nö, Initiative Josef-Haubrich-Forum, Köln »Late, but not too late« was the founding motto of the Initiative in the spring of 2002. The occasion was the impending demolition of the Josef-Haubrich-Forum, a multifunctional exhibition space located in the center of Cologne. Built in the 1960's, the long history of the Forum is closely linked to the city's career as a cultural and artistic center. A film by the artist Rosemarie Trockel delivered the spark for the Initiative: in »Manus Spleen II«, Trockel restaged the demonstration against the Forum's demolition. By shifting and obscuring the real and the fake, the film investigates the topicality and possibilities of a collective expression of will in the present time. (Excerpt from the project description of the Initiative Josef-Haubrich-Forum, Cologne)
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