MITTEN IN DER WELT

Die Gemeinschaft der Kleinen Schwestern Jesu

Florian Haas

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Die Wegbeschreibung, die mir Schwester Marlene gab, war äußerst detailliert. Anders hätte ich die Kleinen Schwestern auch nicht gefunden. Mein Weg führte mich durch einen belebten Stadtteil von Frankfurt mit Straßencaf…s und Eisdielen Ð dann in eine Seitenstraße zu einem Hoftor. Dass dort kein Namensschild zu finden sei, wurde mir bereits am Telefon angekündigt. Erst am Hinterhaus finde ich die entsprechende Klingel, welche mich in den 2. Stock führte. Oben angekommen, begrüßt mich Schwester Marlene und begleitete mich durch die Wohnung in das Wohnzimmer. Hier lerne ich Schwester Sisirani aus Sri Lanka kennen. Auf dem Tisch leuchtet eine Kerze in einem ausgehöhlten Salzstein. Aus dem Angebot verschiedener Teesorten entscheide ich mich für Roibusch.

Nach kurzer Zeit trifft noch Schwester Elisabeth ein. Sie kommt gerade von ihrer Arbeit als Verkäuferin in einer Bäckerei, erzählt uns von ihrer Tätigkeit hinter der Theke und dass sie gerade noch die Tagesabrechnung gemacht habe. Und dann sei noch eine Kollegin im Laden mit einem Eis vorbeigekommen… So sei sie nun eben etwas später.

Auch ich erzähle von meinen verschiedenen Jobs als Briefträger und Bauarbeiter, denen ich bis vor ein paar Jahren nachgehen musste. Eigentlich hatte mir das auch Spaß gemacht, vor allem die Arbeit an der frischen Luft. Aber ich war dann auch ganz froh, wenn der Job zu Ende war und ich wieder ein halbes Jahr von dem Geld leben konnte.

Die Kleinen Schwestern wählen bewusst einen einfachen Arbeitsplatz, um mit den Menschen, denen sie nahe sein wollen, das Gleiche zu tun. Dabei nehmen sie den geringen Verdienst, von dem sie auch leben müssen, in Kauf. Die Schwestern arbeiten in allen möglichen ungelernten Berufen, sei es als Reinigungskraft, als Küchenhilfe, als Briefträgerin, als Verkäuferin... Da sie ein katholischer Orden sind, sehen sie diese Arbeit als Teil ihrer Spiritualität und ihres Lebens. Leitungsfunktionen übernehmen sie nicht. Sie wollen weniger etwas für die Menschen tun, als mit ihnen auf gleicher Ebene leben und arbeiten. Waren es zu Beginn des Ordens in den 50ziger und 60ziger Jahren die Fließbänder in den Fabriken, so sind es heute, durch die veränderten Produktionsbedingungen, einfache Arbeiten im Dienstleistungssektor.

Das Zusammenleben der Schwestern findet in Wohngemeinschaften statt. Die Miete bezahlen sie von ihrem Lohn. Mit der Vorstellung von einem Kloster, im landläufigen Sinn, hat das wenig zu tun. Die Kleinen Schwestern konzentrieren sich auf das für sie Wesentliche: »Der gewöhnliche Alltag ist Ort der Begegnung mit Gott«.

Bezüglich ihrer christlichen, »missionarischen« Tätigkeit sprechen sie von dem »Apostolat der Freundschaft«. »Absichtslos«.

An ihrer Kleidung sind die Kleinen Schwestern nicht als Ordensfrauen zu erkennen. Nur durch ein kleines Holzkreuz, das jede Schwester um den Hals trägt, bekennen sie sich zu ihrem Glauben. Schwester Marlene muss dieses jedoch zu ihrer Kantinenarbeit ablegen, weil es der Arbeitgeber wünscht. So »undercover« arbeitend, geben sie sich nur auf Nachfrage zu erkennen. Immer wieder in unserem Gespräch habe ich das Gefühl, dass dies ein empfindlicher Punkt ist in ihrem Leben. Und dann erzählen sie mir, dass sie mit einigen Arbeitskolleglnnen befreundet seien, die sie hier auch besuchen. »Ganz normal«, denke ich, und versuche mir die Brezelverkäuferin auf dem Sofa vorzustellen. Es funktioniert.

Ihr Alltag ist bestimmt vom Rhythmus ihrer Arbeit. Die Löhne fließen in eine gemeinsame Kasse, von der alles zum Leben Notwendige bestritten wird. Ein Teil des Geldes wird abgezweigt für die Gemeinschaften in der sog. »Dritten Welt«. Gemessen an den Zuständen dort, bedeuten deutsche Niedriglöhne viel Geld. Alle Entscheidungen, welche die Gemeinschaft betreffen, werden gemeinsam gefällt.

Dass diese Nähe im Zusammenleben nicht immer ganz einfach ist, räumen die Schwestern gerne ein. Doch machen sie einen unbeschwerten Eindruck. Angenehm für mich ist, dass sie nicht wie aus einem Mund sprechen. Ihr vertrauter Umgang miteinander zeigt sich im Akzeptieren der verschiedenen Meinungen während des Gesprächs. überhaupt scheint die Stelle der Moderatorin bei ihnen nicht besetzt zu sein.

Hinter der profanen Struktur des Arbeitslebens verbirgt sich bei den Schwestern ihr Ordensleben: Um 7:30 treffen sie sich vor dem Frühstück zum gemeinsamen Morgengebet. Dann geht jede ihrer Arbeit nach. Abends um 18:30 findet dann das Abendgebet statt. Dazwischen sucht jede Schwester einmal am Tag den Gebetsraum auf, um eine Stunde zu meditieren. Der Gebetsraum selbst ist ein schlichtes Zimmer in der Wohnung. Ausgestattet ist die »Kapelle« mit Sitzkissen, Gebetsschemeln und der Reproduktion einer russischen lkone. Ein kleines Jesuskind aus Ton, das in einem Korb liegt, strahlt einem entgegen.

Meine Frage nach dem Nachwuchs wurde mit der Feststellung beantwortet, dass es in den 70ziger und 80ziger Jahren durch den kirchlichen Aufbruch und Bewegungen, wie in Taiz…, mehrere junge Frauen in ihre Gemeinschaft eingetreten sind. Zur Zeit gibt es drei Novizinnen. Zur Ausbildung gehören unter anderem auch 2 Jahre theologisches Studium Glaubensvertiefung. Dies ist ihrer Meinung nach wichtig, damit alle die gleichen Grundlagen für ihr Ordensleben bekommen.

Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 30 Kleine Schwestern. Die meisten Gemeinschaften befinden sich in Großstädten. Nach der Wende habe man aber ganz bewusst auf dem Land im ostdeutschen Thüringen eine Gemeinschaft gegründet. Weltweit gibt es z.Zt. 1350 Kleine Schwestern in über 60 Ländern. Gegründet wurde der junge Orden 1939 von Schwester Magdeleine. Inspiriert von Charles de Foucauld (1858 - 1916), der in Algerien unter den muslimischen Nomadenstämmen lebte.

Gegen Ende unseres Gesprächs kamen wir auf das Altwerden zu sprechen. Ich stelle die Frage, wie denn die älteren Schwestern gepflegt würden und ob es im Orden ein Heim für sie gäbe. Nein, antworten sie. Man sei im Orden bestrebt, die jungen Schwestern mit den Seniorinnen zu mischen. Gerade auch hier ist es den Schwestern wichtig, bis zum Ende ihr Leben mit den weniger Privilegierten zu teilen.

 

RIGHT IN THE CENTER OF LIFE

TheLittle Sisters Jesu

For the Little Sisters, taking a simple job is a conscious choice. In spite of the meager pay such positions usually offer and on which they must live, they work as cleaning women, as kitchen help, as mail carriers, as salespersons, etc. in order to be closer to people who work in low-paying, unskilled positions. They don't take on positions of authority.

During the 1950's and 60's, the early years of the order, they worked on assembly lines in factories; because of today's changed economic conditions, they now often take simple jobs in the service sector. As members of a Catholic order, they see this work as an integral part of their spirituality and their lives. Their object is more to be with the people, working together with them and living in their midst, than to »do something« for them.

The living community of the sisters has little to do with the usual image of a convent; they live together in shared apartments and pay their rent from the money they earn. The little sisters concentrate on what they believe to be essential: »It is in everyday life that one finds God.« In regard to their function as Christian »missionaries«, they describe themselves as »apostles of friendship«, »without motives«.

Their clothing does not identify the Little Sisters as members of a religious order. The only symbol of their faith which is worn by each sister is a tiny wooden cross around their neck. …